Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 25.–27. Mai 1931

A. mich in der Früh angerufen, wollte wissen, was ich gestern Abend getan. Ich
sagte ihm schliesslich die harmlose Wahrheit. Er sagte, er bleibe Vormittag
zuhause. Kam dann später angeblich »zufällig« vorbei und für eine Viertel¬
stunde zu mir herein. Er sah gespensterhaft aus.

Ich habe übrigens Dr. D. wieder angerufen, da A. morgen bei ihm ist, um sich
untersuchen zu lassen. Dr. D. findet ihn auch sehr schlecht aussehend. Ich bat
ihn sehr mich nach dem Zusammen sein mit A. anzurufen. Wie oft muss ich Dr. D.
anrufen, ehe er sich entschliesst sich um A.'s Befinden zu kümmern. Und der Bru¬
der, der Arzt ist! Was für Menschen sind das!!

26.5. Gestern Abend ging ich A. mit der grössten Freundlichkeit entgegen.Er
äusserte sich anerkennend über das neue Krupnik-Kleid, ohne eine einzige
[Be]merkung über mich selbst. Im Kino (langweiliger Film) »Gassenhauer« benannt,
schlief er zumeist. Dann krochen wir zum Stadtpark. Er nimmt nicht einmal
mehr meinen Arm wie früher. Ich bemerke das schon seit einiger Zeit. Ich blieb
heiter und gesprächig, obwohl mir zum Weinen war. Frühling um uns, Mondschein,
heitere Menschen. Es ist, als ob man unter der Erde läge.

Heute Abend sollen Thuns, Clausers (er und sie) und A. zu mir kommen. Ich
wollte dieses Fest läge hinter mir. Mir ist nicht festlich zumut. A. frug mich
gestern, ob Herr Clauser abgesagt hat. Er scheint damit zu rechnen.-

26.5. Eben rief mich A. an, Ferry habe seinen Blutdruck recht erhöht gefunden,
Digitalis und Diuretin verordnet. Warum hat Dr. D. mich vor wenigen Monaten
gehöhnt, als ich zu diesen Mitteln riet? Ach, man könnte wahnsinnig werden.
Frau Clauser hat um 3 Uhr telefoniert, dass ihr Mann von der Jagd noch nicht
zurück ist!!

27.5. Der gestrige Abend im ganzen netter als ich gefürchtet hatte. Herr Clauser
kam natürlich nicht. Angeblich ein Pneudefekt, den er um 6 Uhr seiner Frau
telefonieren liess. Sie hatte wegen eines Gerstenkorns ein Aug verbunden und
machte einen eher decontenancierten Eindruck. Die Wohlgemut-Thun war bild¬
schön und heiter und führte mit A. Theatergesprüche, die ihn interessierten.
Thun unterhielt sich mit mir über Religion, Jenzeits, die Evangelien,