Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 27.–29. Mai 1931


die er mir sehr zur Lektüre empfahl und trank dabei eine Flasche »St. Emillion«
allein aus. Der Abend war sehr schön warm, wir sassen im Garten bei Windlich¬
terbeleuchtung. Das Essen war sehr gut und es wurde ¼ 1. Die Clauser
wollte durchaus ein Taxi zum Heimfahren nehmen, offenbar um von A. beglei¬
tet zu werden. Aber Thuns nahmen sie in ihrem Auto mit, trotz ihres Sträubens.
Ich ging bis vor die Gartentüre mit, da ich ihr Manöver bemerkte. A.blieb bei
mir, sagte, mein Kleid sei so besonders schön (ein gelbes Fetzerl, das ich seit
Caux nicht getragen habe), der Abend sei sehr angenehm gewesen. Dann ging
er. Heute rief ich Dr. D. an, aber er liess mir sagen, er habe keine Zeit.
Komisch! Er weiss doch, was ich von ihm will, was für Sorgen ich habe.

28.5. Gestern Abend Film »Dreigroschen-Oper«. Nachher trübseliges Abendessen
bei Prochaska. Dann durch den Wurstelprater. A. sah elend aus, ging müd und
schleppend neben mir, so dass ich schliesslich freundlich zu ihm sagte:
»Wenn du es nicht zu intim findest, häng dich doch in mich ein.« Er antworte¬
te »Ja gerne« und hing sich dann schwer in meinen Arm.–Ich kam wieder tod[t]raurig nach¬
hause. Gehe jetzt zu Dr. D. Ich muss mit ihm sprechen, sehe aber dieser Un¬
terredung mit Angst und Grauen entgegen.

29.5. Die Unterredung hat sehr bös geendet, d.h. sie musste im ungünstigsten
Augenblick abgebrochen werden. Dr. D. sagte mir u.a., dass A. die Absicht ha¬
be mit mir für 14 Tage fortzugehen, länger würde er es nicht aushalten, er
brauche Ruhe, Einsamkeit. Ich antwortete, dass ich für 14 limitierte Tage nicht
fortgehe und schon gar nicht, wenn man sich so geäussert hat, weil einem
solchen Zusammensein schon der Stempel aufgedrückt ist. Er hatte einen sehr
schlechten Ton gegen mich, erklärte ich sei die grösste Egoistin, die ihm je
vorgekommen ist. Ich denke nur an mich, ich solle darüber glücklich sein, dass
der Mann einfach will, dass ich da, für ihn vorhanden bin. Ich antwortete
ihm, mit welchem Recht man solche Forderungen an mich stellt, dass ich ein¬
fach mit freundlichem Gesicht alles ertragen, alles hinnehmen soll, eine Bezie¬
hung habe nur Sinn, wenn man beglückt, wann man Freude auslöst. Aber um