Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 8.–11. Dezember 1930


ihm, dass er die »Corday« morgen bei mir holen lässt. Vielleicht geht
es auf diesem Weg. A. und ich fuhren zusammen zurück (im Auto
von Thuns). Kühles Verhalten von beiden Seiten. Mir ist oft, als ob
jede Brücke zu ihm seelisch abgebrochen wäre.

Um 8 Uhr Abend rief A. mich an, ob er wegen des Radio (Dohnanyi-Konzert)
zu mir herüberkommen kann. Ich sagte natürlich, dass es mich sehr
freuen wird. Er brachte sein Nachtmahl mit herüber. Dohnanyi und
Gattin sind nämlich morgen zu Tisch bei ihm. Ich fand A. elend aus¬
sehend und mache mir doch schreckliche Sorgen, wenn ich es mir auch
nicht recht zugestehen will. Er ist sicher seit Berlin in einer
schlechten physischen Verfassung und niemand tut etwas dagegen.
Diese ganze Familie S. ist das Kälteste, was man sich denken
kann. Wenn ich den Dr. D. nicht immer antreiben würde, geschehe nie
etwas für A. Habe auch heute Nachmittag mit Dr. D. gesprochen.

9.12. Die ganze Nacht nicht geschlafen, weil mein Schlafmittel aus¬
gegangen ist und ich mir so viel Gedanken mache.

Vormittag Stadt. Den geschmacklosen Byck begeget, der über die Gasse
hinüber »Clärchen« brüllte. Abend allein, A. bei Schmiedl geladen.
10.12. Gesangsstunde, aber ich bin jetzt nie in Stimmung.

A. war bei Dr. D. rief mich nachher an. Das Herz »angeblich« ganz
in Ordnung. Keinerlei Mittel, nur weniger Flüssigkeiten. Ich bin doch
nicht beruhigt. Am Abend im Kino mit A. »Geschlecht in Not«. Guter
Film, dann Sternwartestrasse. A. elend ausgesehen. Ich lasse mich
nicht nachhause begleiten, weil es schüttet.

11.12. Heute Dr. D. angerufen, um die Wahrheit zu hören. Er sagte nur,
dass A. nicht gesund sei, Herzmuskel. Er konnte nicht mehr sprechen,
weil er ärztlich zu tun hatte, aber er müsse mir mehr darüber sagen.
Ich bin seither wie vernichtet. Ich habe es ja immer geahnt, gefühlt,
aber warum hat D. immer bestritten? Warum geschieht nie etwas für ihn?