Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 14.–18. Oktober 1930


Ich sprach so ernst und gütig zu ihm wie noch nie. Gott gebe mir die
Kraft an diesem Ton festzuhalten.

15.10. Die Unterredung wieder im Sand verlaufen; scheinbare Rührung
bei ihm, scheinbare Einsicht und schliesslich alles beim alten.
Ich bin derart heiser, dass ich keinen Laut herausbringe, teilweise
zu Bett. A. Vormittag und Abend bei mir. Schläfrig und kühl wie immer.
Er soll erst nach Heinis Hochzeit nach Berlin kommen. Ich glaube,
das verstimmt ihn.

Otto telefoniert, dass er die »Corday« gelesen und sie ausserordent¬
lich findet. Wenn das nur Wildgans auch fände, es wäre eine seelische
Rettung für mich.

16.10. Kann noch immer nicht sprechen, ohne eigentlich erkältet zu sein.
Wir fahren am Abend zu »Mass für Mass« ins Burgtheater. Samstag
sollen Werfels, Wildgans, Clausers, Hofrätin Z. und ich bei A. drüben
sein. Wenn ich nur bis dahin wohler bin. Mit dieser Stimme kann ich
nirgends hingehen.

17.10. Gestern nach dem Theater (schöne Vorstellung) bei mir. Stim¬
mungsloses Zusammensein. A. heute Vormittag einen Sprung bei mir,
sehen, wie es mir geht. Was nützt das alles? -Nachmittag Otto, der
mir die »Corday« zurückbringt.

17.10. Abend. Während Otto da war kam A., brachte mir Caviar und Scho¬
kolade. Sehr aufmerksam. Aber ich fühle nichts dabei.
Meine Rettung wäre die Corday. Es ist schrecklich, aber es wird zu einem
fixen Gedanken bei mir. Ich fürchte die Antwort von Wildgans.

18.10. Mittag Kinder. Harry recht unangenehm. Was er sagt ist auf¬
reizend, und wie er sich anzieht erst recht.

Eben A. wieder auf einen Sprung dagewesen. Es ist, als ob er eine
Aufgabe erledigte. Der Nachgeschmack bleibt für mich immer derselbe.
Ich fürchte den heutigen Abend mit Wildgans.