Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 12.–14. Oktober 1930


da sie in der Gegend wohnt. Und vor ein paar Wochen habe er sich auch
zufällig getroffen und vergessen es mir zu erzählen. Er frug mich,
warum ich nicht stehen geblieben bin. Ich sagte, weil ich mit so einer
Person nicht stehen bleibe. Ich glaube ihm nichts. -Traurig!

Montag, 13.10. Was für ein trübseliger Abend gesten wieder. Konversa¬
tion, bis er plötzlich nach dem Nachtmahl oder eine Stunde nach den
Nachtmahl fragt: »Hast du eigentlich diese Person heute Vormittag
wirklich so hässlich gefunden?« Ich darauf, ebenso lächelnd wie er:
»Hässlich? Ich habe ihr Gesicht nicht so genau angesehen. Sie sah nur
im ganzen ordinär und wie ein Trampel aus.« Er: »Du glaubst doch
nicht ernsthaft, dass ich mir mit ihr ausgerechnet in der Pötzleins¬
dorfer Allee ein Rendezvous geben werde, wo einen jeder sehen kann.
Man muss doch logisch sein.« – Ich: »Ich sehe hier keine Logik. Wenn
du überhaupt mit ihr spazieren gehst, so bleibt es doch für Vorüber¬
gehende gleichgiltig, ob es verabredet oder nicht verabredet war. Und
mich konntest du dort nicht vermuten.« -

Er schwört weiter, dass es Zufall war. Möglich; aber warum lehnt er
es an einem der wenigen schönen Herbstage ab, mit mir spazieren zu
gehen? Einmal sagte er: »Du bist sehr klug diese Begegnung nicht
tragisch zu nehmen, wie du es früher getan hättest.« – Ich da-
rauf: »Klug nennst du das? Ich bin nur innerlich müde.« Dann beglei¬
tet er mich stumm nachhause. Die Bäume sind schon ganz gelb. Herbst-
was für ein Winter steht mir bevor! Ich habe die ganze Nacht kein
Auge geschlossen.

14.10. Gestern Abend trotz Erkältung mich gezwungen mit Baronin Ber¬
ger zu einem Penklubabend im Rathaus (für Schalom Asch) zu gehen.
Nach einer halben Stunde angewidert davongelaufen. A. will mich Vor¬
mittag besuchen. Er sieht ein, dass es so nicht weitergeht und will
doch nichts ändern. Einen Augenblick hatte er Thränen in den Augen.