Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 16.–18. Mai 1929

Heute Vormittag rief mich die Frieda an und sagte mir, A. habe jetzt eine
neue fixe Idee: Ich müsse fort, während die O. da ist, nach Karlsbad oder
in irgend einen Kurort. Sie hat ihm angeblich geantwortet, es sei unmöglich
mich zu verbannen, weil die O. kommt. Er erkläre aber, seine Nerven seien
der Situation nicht gewachsen. Ich antwortete, dass ich mich wohl nicht
fortschicken lasse, aber Dr. D. ohnedies gesagt habe, ich würde für ein paar
Tage während des Aufenthaltes der O. fortgehen und dass ich das auch ge¬
sprächsweise zu A. erwähnen will. Ich weiss, nicht, ob die gute Frieda
nicht doch ein wenig falsch zu mir ist. Immer will sie die Gefühle des
A. zu mir herabmindern und ich hab ihr doch nie was getan.

A. sagte sich spontan bei mir zu Tisch an. Während des Essens meinte ich
sehr beiläufig, dass ich vielleicht während seine Familie da ist auf
6-7 Tage auf den Semmering gehen würde, um die Situation zu erleichtern.
Er antwortete, das wäre vielleicht ganz gut für alle Nerven, aber du
brauchst doch nicht so weit fortzugehen, irgendwo in die Nähe, wo ich dich
immer besuchen kann. Und dann sprach er gleich von einer grösseren Reise,
die er im August mit mir machen will, vielleicht eine Seereise.
Am Abend mit ihm im Kino, harmloser Film mit Liedtke »Robert und Bertram«
Dann bei ihm Worterraten gespielt. Trotzdem sehr zärtlich.

18.5. Heute Vormittag meine 1000 S. in der Presse behoben. Das tut wohl
selbstverdientes Geld. Dann wegen eines Reisemantels Umschau gehalten.
Schade, dass seit dem 15. so eisiges und regnerisches Wetter ist. Wie
wenig hat man von dem Frühling – er ist fort ehe er da war. Nur meine
Wohnung ist ein Fliedermeer, drei riesige Vasen voll Flieder von A. Einen
Strauss brachte mir Magdi heute Früh und dann noch der Flieder aus meinem
Garten. Das ist sehr schön.

Zu Tisch Harry, sehr vergnügt und entschlossen sich am 1. Juni zu verlo¬
ben. Grosses Vertrauen hab ich zu der Sache nicht.

Abend Kino und bei A.