Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 10.–12. Mai 1929


lässt, denn die O. wird nie Ruhe geben.

11.5. Heute Früh entschiedene Besserung auch in der Stimmung. War von
10-½12 bei ihm, verliess ihn dann, weil Julius kommen sollte. Als ich
auf A.'s Wunsch Mittag zu Tisch wieder kam, wieder Düsterkeit. Ich ver¬
mute ein Gespräch über O. zwischen den Brüdern. Später wieder Aufhei¬
terung in der Stimmung. Am Abend wieder bei ihm.

12.5. Gestern Abend entschieden besser. Hypochondrie abnehmend, aber
ich fühle ihn anderweitig präokkupiert. Während meiner Anwesenheit
kam Dr. Donath. A. soll Diathermie und später Kohlensäurebäder nehmen.
Ich liess ihn und Dr. D. eine Zeitlang allein, vermute Gespräche über
die Reise an den Wörthersee. Ich ahne schon die O. hier in Wien, wenn
aus der Reise dorthin nichts wird. Wie soll man nur das alles ertra¬
gen. Ich versuche eben wiederholt bei ihm anzurufen, immer besetzt. Wahr¬
scheinlich Gespräch mit Berlin. A. soll heute Mittag bei mir essen.

Es regnet und es ist kühl.

A. mich eben angerufen. Liebenswürdig, sehr, animiert, wie immer, wenn er
harmlos scheinen will. Warum ist ein so bedeutender und grosser Mensch
nicht auch wahr? Gestern hat er mich in einer geradezu kindischen Weise
angelogen. Vorgestern als ich ihn verliess, trug Minna gerade gelbe Rosen
hinauf und sagte mir sie seien eben von einer Dame gekommen, sie wisse
nicht genau, wie sie heisse. Gestern, als ich die Rosen auf dem Schreib¬
tisch stehen sah, frug ich, von wem sie wären. Er antwortete von Elly und
Karl (die Schwiegertochter und der Sohn von Julius).

Warum, warum tut er das und was kann ich ihm glauben?

(Bemerkung vom 7.7.1932: Die Rosen dürften von Frau Clauser gewesen
sein.)

Heute Vormittag holte A. mich zum Spazierenfahren trotz regnerischen
Wetters. Sievering, Klosterneuburg, cca eine Stunde, dann Mittagessen bei
mir bei gutem Appetit, aber nachher grosse Müdigkeit. Die Augen fielen
ihm immer zu. Vergeblicher Versuch Klavier zu spielen. Die linke Hand