Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 10. Mai 1929


er mich an. Ich begleite ihn in sein Zimmer. Zustand von Minute zu
Minute ärger, er verbietet mir jemand zu läuten, einen Arzt, seinen
Bruder oder Neffen Dr. Donath zu rufen. Es ist ein jammervoller Anblick
Er will sich entkleiden, kann nicht, weist jede Hilfe ab, um zu er¬
proben, ob er nicht gelähmt ist. Endlich um 12 Uhr bringe ich ihn
dazu Dr. D. kommen zu lassen, dessen Erscheinen ihn psychisch sehr
beruhigte (besonders sympathischer Arzt). Um ½2 ging ich mit Dr. D.
zusammen fort, nachdem ich Minna geweckt und sie gebeten hatte in
der Nähe zu bleiben. Dr. D. äusserte sich sehr unbestimmt zu mir,
es könne natürlich allerlei sein, aber er hoffe, dass es sich in ein
paar Tagen geben wird. Ich war verzweifelt. Mein Ein¬
druck: ein leichter Schlaganfall oder eine fixe Idee auf Basis ei¬
ner beginnenden Arteriosklerose. Ich bin so unglücklich, so von
Angst erfüllt, dass ich nicht atmen kann.

Vormittag bei ihm, seine Stimmung trostlos. Schwerste Hypochondrie.
Er glaubt an eine Rückenmarkssache, Tumor etc., dabei geht er zeit¬
weise ausgezeichnet, besonders im Garten. Mittag wieder bei ihm. Voll¬
kommen appetitlos, ich nötige ihn zu ein paar Bissen. Am Abend auf
meinen Rat seine Familie bei ihm (er hätte heute bei seiner
Schwester nachtmahlen sollen).

Nachmittag trotz meiner Verfassung die Eltern der Mädi T. bei mir,
denen ich nicht mehr absagen konnte. Am Abend die Kinder. Gespräch
mit Cary über A.'s Erkrankung. In der Nacht Anruf des Dr. Donath,
der mich sehr beruhigt. Er hält es nur für eine fixe Idee, die in
ein paar Tagen vergehen werden wird, aber nicht ausgeschlossen, dass
er sich dann wieder eine andere Krankheit einreden wird. Dr. D. er¬
klärt mir spontan, dass er sowohl wie sein Schwiegervater absolut
gegen jedes Zusammensein des A. mit der O. sind und dass da end¬
lich ein Ende gemacht werden muss. Der Mann müsse zur Ruhe kommen
etc. Ich sagte ihm, dass ich nicht glaube, daß sich da etwas machen