Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 7.–10. Mai 1929


Ich glaube, wir würden jetzt sehr glücklich sein, wenn uns die O. in Ruhe
liesse. Immer schafft sie Verwirrung durch ihre Forderungen.

Abend Kino mit der Moosheim.

8.5. Mittag Carl und Magda. Am Abend mit Anna Einakterpremière im Aka¬
demietheater: »Puppenspieler« von A., der »Faun« von Bahr, »Schöne Seelen« von
Salten. Welch ein Niveauunterschied zwischen dem Stück von A. und den
andern. Auch das Publikum hat es gefühlt. Salten hatte einen gewissen
Lacherfolg, Bahr blieb ganz wirkungslos. Das Stück nahezu schwachsinnig.
Nach dem Theater noch zu A. gefahren, der mit dem Nachtmahl auf mich ge¬
wartet hatte. Grosse gegenseitige Zärtlichkeit. Ich finde A. schlecht
aussehend und mache mir Sorgen.

10.5. Welch ein Tag gestern und was für Tage werden noch kommen!
In der Früh schon um 8 Uhr zur Verhandlung Artmann (angeblicher Eltern¬
mörder). Zum ersten Mal im Gerichtssaal, mit äusserster Nervenanspannung
bis Nachmittag 5 Uhr ausgehalten. Näheres darüber an anderer Stelle.
Gegen 7 Uhr kam A. mich zu einer Spazierfahrt holen, erzählte mir, er
habe in der Früh plötzlich ein Versagen der linken Seite empfunden,
Frieda habe hinter seinem Rücken seinem Bruder Julius berufen, der es für
eine Darmintoxikation halte; es habe sich auf Pyramidon dann gegeben,
er fühle noch Schwere und Müdigkeit im linken Bein. Ich erschrak inner¬
lich ohne es zu zeigen, Wir fuhren in einem Auto gegen Mödling
(er wollte beim Radetzky nachtmahlen). Ich redete mich auf Wolken am
Himmel aus und schlug vor lieber zurückzufahren und am Südbahnhof (Re¬
staurant Schneider) zu essen. Er war einverstanden. In Perchtoldsdorf
gingen wir sogar um die Kirche herum, A. in mich eingehängt. Nachtmahl
mit gutem Appetit und in guter Stimmung. Beim Aufstehen knickt A. nach
links ein, erklärt nicht mehr gehen zu können, wankt von mir gestützt bis
zu einem Auto. Bei Heimkunft forsierter Spaziergang vor seinem Haus mit
schleppendem linken Fuss. Wenn ich ihm helfen, ihn stützen will, schreit