Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 1. Januar 1929


»Kammerdiener« weitergeschrieben, nur um irgendwie ins Arbeiten hi¬
neinzukommen, aber ich war bald müde. Immerhin hat diese Novelle momentan die
meisten Chancen. Alles in allem kein Jahresanfang, der mich sehr freut.
Ich will mich sicher nicht beklagen und undankbar sein, weiss, dass
es anderen Menschen viel schlechter geht, wenn man hier von »schlecht
gehen« überhaupt reden darf. Aber manches Mal (bitte lache nicht)
fühle ich mich für diese Stille und Enge zu jung, ich komme mir vor
wie eine Maus in einer hübschen kleinen Falle mit einem guten Stück¬
chen Speck darin. Irgendwo ist die weite Welt, das Leben – ich sitze
und knabbere. Vielleicht werde ich das, was ich schreibe, morgen nicht
mehr wissen und gewiss nicht mehr fühlen, wenn Du wieder da bist. Aber
heute Abend ist es nicht anders.

Ueber den Herrn »Vermeider« musste ich lächeln. Irgend¬
wie hat diese Bezeichnung mit Dir und Deinem Wesen zu tun. Uebrigens
ist mir dieser Tage zu Bewusstsein gekommen, dass beim »Zug der Schat¬
ten« zwischen Titel und Stück auch noch nicht ganz die richtige Bezie¬
hung besteht oder richtiger: der wundervolle Titel müsste an irgend
einer Stelle eine stärkere Begründung finden. Findest Du dumm, was ich
da sag? Morgen höre ich wohl von Dir. Mit wem gehst Du zu Oedipus? -
Für heute Schluss. Ich umarme Dich trotz düsterer Stimmung von ganzem
Herzen.

Deine C.K.