Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 28. Dezember 1928

An A.S., Berlin.

Wien, 28.12.1928.

Liebster,

ich bin erst nach 8 Uhr von der Alma nach Hause gekommen,
habe genachtmahlt und will Dir nun rasch meine Impressionen schil¬
dern, so lange sie noch frisch sind. Ich habe noch nie eine so komische
Mischung von Boheme und Kleinbürgerlichkeit gesehen. In dem schmalen,
etwas schlamperten Vorzimmer stürzte ein Mittelding zwischen Diener
und Groom freudegrinsend auf mich zu, half mir ablegen und schob mich
in ein Zimmer, wo mich Werfel erwartete und mir eine Entschuldigungs¬
rede wegen der Gedichte halten wollte. Ich erklärte ihm, ich sei
nicht böse. Alma tauchte einen Augenblick in einem unmöglichen niel¬
grünen tiefdecolletierten Teagown auf, begrüsste mich mit grosser
Herzlichkeit und hoffte mich später zu sehen. Diverse Mäntel im Vor¬
zimmer hatten mir Gäste verraten, die ich später zu sehen bekam. In-¬
dessen sprach Werzel lang mit mir über meine Gedichte, von denen er
sagte, dass sie ihm, je öfter er sie liest, desto stärker berühren, d.h.
eine Anzahl von ihnen. Die, die ihm nicht gefallen, sind alle aus frü¬
heren Zeiten und ich verstand sehr gut, was er meinte und mir gefallen
sie auch nicht mehr. Gut sind mit wenigen Ausnahmen nur die, die ich
im Zusammenhang mit Dir gemacht habe, oder vielmehr in den glücklichen
und unglücklichen Stimmungen der letzten Jahre. Er sagte aber, dass
man auch bei den schlechteren Gedichten die starke lyrische Begabung
spürt, sie seien alle musikalisch und stark empfunden, nur sprachlich
oft abgegriffen und banal. Ich muss ihm Recht geben. Von den späteren
Gedichten findet er manche vollendet, besonders die »Traurigen« aus
Gardone (Ort und Datum stehen nicht dabei). Er riet mir sehr viel Ge¬
dichte zu schreiben, denn er glaubt, dass ich noch Bedeutendes leisten
könnte und ich solle es ihm zu lesen geben oder vorlesen, wenn ich et¬
was fertig habe und er hofft, wir werden uns jetzt oft sehen und spre¬
chen. Ich hatte ein gutes Gefühl nach diesem Gespräch und glaube an