Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 11.–19. Oktober 1928


vernehmen. Er sieht so elend aus (Blasenbeschwerden), ist so nervös, dass
ich mir Sorgen mache. An diesem blossen, verfallenen Gesicht zerschellt
mein Groll.

Harry benimmt sich riesig lieb gegen mich, hilft mir so gut er nur kann.
Ist überhaupt seit Wochen ein Anderer, bin sehr froh darüber.
Keine Zeit einzutragen. Sinke jede Nacht wie zerbrochen auf mein Bett.
A. sieht besser aus, freut sich auf meine Wohnung.

13.11. Und jetzt die letzte Nacht in dem Haus, in dem ich geboren bin.
Ich komme eben von einem pompösen Abendessen bei Ferda. Um 5 Uhr stand
ich noch am Boden zwischen Trödlern und Packern, die letzten Trümmer von
einst verschachern, abgehetzt und übermüdet. Um 8 Uhr war ich bei Ferda im
Ecru-Spitzenkleid und alle fanden mich verblüffend gut aussehend. Wer
sieht in mich hinein?

Hier habe ich zum ersten Mal die Augen aufgeschlagen, hier begann mein
Leben. Wo wird es sich vollenden? Wird das, was jetzt kommt, ein ruhiges
Glück sein? -

Ich blicke in dieser Stunde eher zurück als vorwärts. Eltern, Grossvater,
wie nah seid Ihr mir und wie danke ich Euch für alles – alles.

17.11. Aus Schmutz und Arbeit schält sich das Wunder meiner neuen Wohnung.
Drei Tage hier und ich nahezu fertig. Ich habe täglich von 7 Uhr Früh
bis 11 Unr Abend gearbeitet. A. gestern für 1-2 Tage auf den Semmering.
Ich war sehr froh alles ungestört fertig machen zu können. Er wird Augen
machen.

18.11. A. zurück. Sehr begeistert. Vormittag bei mir. Am Abend ich bei
ihm. Kinder und Geschwister von der Wohnung entzückt.

19.11. Fader Abend bei Wellesz mit Frau Bachrach, Frieda, Mimi Zuckerkandl.
So viel Aufwand für diese Langeweile. Ich sehr müde.