Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 19. August 1928

Semmering, Südbahnhotel Waldhof.

19.8.1928. 8 Uhr abends.

Mein Liebes, so ein Expressbrief ist doch etwas Wundervolles. Dein
Schreiben von gestern Samstag Früh war heute Mittag bei mir und mir
ist in dem Augenblick, als ich ihn aus meinem Postfach nahm, direkt bes¬
ser geworden. Ich bin so froh, dass Dir das Hotel sympathisch ist und
dass Du es in dieser Beziehung gut getroffen hast.

Ich bin zufrieden im Waldhof zu wohnen, so ramponi[e]rt er auch ist, denn
drüben ist es wie ein jüdisches Volksfest mit stark ungarischer Be¬
tonung. Für ein Zimmer hier im Haus 14 S. zu verlangen ist allerdings
unverschämt. Das W.C. meinem Zimmer gegenüber nicht englisch. (1928).
Im Vorraum alte Möbelstücke, Bettgestelle etc.

Ein Tag zu Ende. Ich habe in der Meierei gefrühstückt, bin spazieren
gelaufen, in der Sonne gesessen, will mich erholen, will gut aussehen,
will Dir gefallen. Freuen tut mich vorläufig noch nichts.

Ich kann mich an die Gegend dort (in Füssen) noch ganz gut erinnern, so lange es
auch her ist. Wir (die Kinder und ich) lagen immer vor den Toren der
Stadt am Waldesrand, ich glaube, es heisst Blutanger oder so ähnlich.
Auch ich suche Erinnerungen hier an Dich bei jedem Schritt; auf der
Hochstrasse, wo wir im Regen zusammen gingen, bei dem Zuckerbäcker, wo
Du mir Schokolade kauftest. Der Portier Rosenbaum erscheint mir wie
eine von Dir belebte Marionette.

Lebwohl, lebwohl. Lass mich bald hören, dass Du Dich wohler fühlst und
zur Arbeit findest. Ich denke immer an Dich und Deinen Schmerz. Und
doch glaube ich, dass wenn man von jemand, den man liebt, so geliebt wird,
wie ich Dich liebe, kann man nicht ganz unglücklich sein. Ich küsse Dich
tausendmal. Deine

C.K.