Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 20. August 1928

Hohenschwangau, 20.8.1928.

Liebstes, ich will von gestern berichten, dass ich Vormittag in Neu¬
schwanstein war, – (allein, Heini war auf einem Berg namens Säuling und
schon zu Mittag zurück) unter allerlei Sonntagsausflüglern, – auch
ein »Besichtiger«. Welch ein Kitsch! Welcher Bochismus! – Was für Gemäl¬
de! Welche Oeldruck- und Coulissenphantasie! Welcher Mattoidismus und
welche Entlarvung der deutschen Mythologie und Heldensage.–Man hat
Mühe in der Atmosphäre diesen königlichen Freundes, dem Genie Wagners ge¬
genüber gerecht zu bleiben. Das Schloss selbst – eine gigantische An¬
sichtskarte. – Und die Besichtiger – lauter Figuren aus den Meggendor¬
fer Blättern; – nur nicht so geruchlos.–Die Landschaft unangreif¬
bar – deutsch im schönsten Sinn.-

Nachmittag meinem Vorsatz getreu las ich die drei Bilder aus dem Zug -
das zweite und dritte noch schlecht. Dann das Wort. Drei Akte nicht
übel, vierter und fünfter in jetziger Form unmöglich. Nur durch völli¬
ge Umarbeitung (vielleicht) zu retten

Lese Disraeli (von Mauroiz), das »Schloss« von Kafka.-

Mit dem Hotel besonders zufrieden. Hatte gewiss nichts besseres wäh¬
len können. Völlig uninteressantes, nicht gut aussehendes Publikum.
Gestern Abend tauchten vier oder fünf interessantere Figuren auf,
Herren und Damen, elegant und ästhetisch wohltuend.–Es waren Italiener.
Von Träumen und Stimmungen möcht ich lieber nicht schreiben – viel¬
leicht gehts in einigen Tagen. Ohne Heini wär's hier schwer. Arnoldo,
Olga dürften vor Donnerstag nicht hier sein. Heute Früh Dein Brief,
mein Liebes, ich danke Dir sehr, sehr, sehr. Morgen kommt wohl schon ein
Bericht vom Semmering; der beste Morgengruss, der mir werden kann.
Ich umarme Dich von ganzem Herzen. Dein

A.