Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 13. August 1927

Schloss Neudorf, 13.8.1927.

An A.S. nach Campiglio.

Liebster,

wie Dir meine Karte, die ich in Wildon in den Kasten steckte,
schon gemedelt haben wird, bin ich gestern wohlbehalten hier angelangt.
Komisch ist, dass man bei der Hamburg-Amerika-Linie die von Dir ange¬
gebene Verbindung hartnäckig bestritten hat und man auch hier im Hause,
trotz jahrelanger Frequenz dieser Strecke nicht wusste, dass man um 11
Uhr von Wien fortfahren und um 5 Uhr hier sein kann. Allerdings muss
man in Bruck umsteigen.

Ein Wagen mit Miss Grace (die 30 Jahre hier im Hause ist)
erwartete mich und wir fuhren ¾ Stunden zwischen Wiesen und Feldern
und einem schon sehr grau verhangenen Himmel zum Schloss, das mich
gleich wieder mit seinem alten, unerhörten Zauber umfing. Es ist son¬
derbar, eine wie starke künstlerische und suggestive Wirkung Architektur
von je her auf mich macht. Die toten Mauern beleben sich für mich, wer¬
den Schauplatz von Geschehnissen und Möglichkeiten und auf einer Brücke,
die sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart bildet, huschen phantasti¬
sche Gestalten hin und her.

Das Schloss ist in den 6 Jahren, die ich nicht da war, na¬
hezu ganz neu eingerichtet worden, da bei dem Hausherrn eine Aversion
gegen Antiquitäten besteht. Aber die modernen Möbel, die unglaublich ge¬
schickt gewählt oder richtiger den Räumen angepasst sind, wirken gar
nicht störend, sondern selbstverständlich. Ich werde Dir darüber viel zu
erzählen haben. Peinlich und unbequem sind nach wie vor die hygieni¬
schen Einrichtungen. Die Hausleute und ebenso die verheiratete Haustoch¬
ter haben an ihre Schlafzimmer angrenzend fabelhafte Bade-Toilette¬
räume. Für die Gäste aber existiert ein gemeinsamer solcher Raum, der
z.B. von meinem, sonst geradezu entzückenden Zimmer durch zahllose Kreuz¬
gänge, Stufen, Türen etc. erreichbar ist und noch dazu verirrt man sich immer
am Weg.