Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 5. Februar 1926

Wien, 5.2.1926. Hotel Regina.

(nach Wien)

Liebster Freund – damit Du siehst, dass ich nicht so ganz unge¬
schickt bin, schreibe ich Dir einen Brief auf meiner lieben
Schreibmaschine. Ich mache aber noch sehr viele Fehler und ich
bitte Dich mich nicht auszulachen. Ich freue mich sehr, dass Du
heute zu mir kommst, aber das ist auch alles, was mich freut und
ich zerplatze beinahe vor Sehnsucht nach Zerstreuungen und angeneh¬
men Sensationen.

Du glaubst, ich müsste mich in eine Arbeit oder in ein Buch ver¬
tiefen, aber ich habe Dir vor zwei Jahren gesagt, dass ich kein in¬
tellektuelles Weib bin. Ich liebe das Leben und die Liebe und
Sonne und Wald und Luft und Wandern und Ruhn und Heiterkeit und
Lachen. Das Lachen liebe ich besonders, aber ich habe es schon
verlernt – - Ich glaube, ich empfinde alles sehr stark, was gut
und schön ist und auch alles, was traurig oder kränkend ist.
Und habe ich viele Eindrücke empfangen, so setzen sie sich dann in
irgend eine Form um, die nach einer Aeusserung sucht und diese
Aeusserungen sind seit meinem 7.Lebensjahr immer kleine Dichtun¬
gen gewesen. Sicher Bedürfnis – Veranlagung, aber nie Zuflucht oder
gar – - Fleiss oder Urgend ein Ehrgeiz, womit ich aber nicht sagen
will, dass mir irgend ein wirklicher Erfolg nicht eine riesige Freude
wäre. Aber – immer ist mir das Leben wichtiger und alles was mir
gerade das Leben bedeutet. Eine Arbeit wird bei mir vom Leben aus¬
gelöst, aber sie kann mir nie Ersatz bedeuten. Ich glaube nicht,
dass ich übertrieben vergnügungssüchtig bin und ich kenne auch
den Reiz einsamer Stunden, aber wenn man so eingeengt lebt in je¬
der Beziehung wie ich seit vielen Wochen, ersehnt man alles eher
als Einsamkeit – und jetzt brauche ich alles eher als literari¬
sche Betätigung. Ja, Liebster, ich bin kein intellektuelles Weib -
und als ich Dir das vor zwei Jahren sagte, da riefst Du: »Gott sei