Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 29. Januar 1925

St. Moritz, 29.1.1925.

(nach Wien, Hotel Regina).

Liebste, aus Deiner eben eingetroffenen Karte entnehme ich, dass Du mit
der Verlängerung meines hiesigen Aufenthaltes nicht ganz einverstanden
bist. Aber – Kind! Wärst Du nicht, so bliebe ich gewiss noch 14 Tage hier,
oder sagen wir mindestens acht. Die Nachwehen meiner Grippe schwinden
ziemlich rasch, trotzdem es kein Uebermass von Sonne gibt, wenigstens in
den letzten zwei Tagen: ein bischen Luftröhrenkatarrh und Stirnhöhlen¬
affektion ist noch vorhanden.

Gestern habe ich in Camphèr gespeist und die Familie Pieterkows¬
ky kennen gelernt, wo Heini so viel verkehrt, sehr angenehme Leute, bei
denen auch viel Musik getrieben wird.

Gespräche persönlicher Art mit O. gab es zwei bisher, von denen
das erste wenig angenehm war, das zweite sich aber in einer sehr guten
Weise entwickelte – einsichtsvoll geradezu, auch nach einer Richtung, wo
es nicht zu erwarten war. Ueber all das mündlich.-

Mit der Arbeit geht es in den letzten Tagen nicht übel; – die
Therese ist bis zu einem gewissen Punkt so gut wie abgeschlossen – so
dass nun dieser Teil gewissermassen als ganzes zu betrachten und even¬
tuell so wie er ist zu veröffentlichen wäre. Aber noch immer besteht die
Möglichkeit, dass ich den Roman weiterführe – beende.–Die Frau des Rich¬
ters geht Mitte Feber an Ulstein; das Diagramm will ich im Frühjahr
bei Fischer (keine Redaktion) publizieren.-

Meine Spaziergänge mache ich täglich allein; ich war in Celerina
(wo ich dem Direktor einen Besuch abstattete). Auf der Chantarella (zu
Fuss natürlich) und will heute nach Pontresina. Um 5 Uhr bin ich immer
zuhause, lese und arbeite. Das Hotel ist ausgezeichnet.-

Ich wünschte mir sehr, Liebste, heute noch ein oder zwei liebe
Briefe zu erhalten – die Antwort auf diesen hier hole ich mir ja glück¬
licherweise von angesicht zu Angesicht, von Mund zu Mund, von Herz zu Herz! -
Sei tausendmal umarmt, Liebste, Dein

A.