Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 9. August 1924


der und Deutsche

Ich würde mir den Aufenthalt hier sicher nicht aussuchen. Aber ich
werde jedesfalls die 8-10 Tage hier bleiben, denn zum Ausruhn und Er¬
holen wird es ganz gut sein und mit dem Herumsuchen vertut man nur
Zeit, Nerven und Geld.

Ich lebe hier auch recht billig. Mein Zimmer ist viel kleiner und ein¬
facher als in Ragatz, aber doch bedeutend besser als Hotel National. Sehr
sauber, ohne jede Aussicht und ich zahle nur 12 Francs im Tag. Das Essen
ist auf derselben Stufe wie in Hof Regatz. Mit Pontresina nicht in
einem Atem zu nennen. P.'s verstehn ja nichts. Es ist gewiss nicht
schlecht, aber zur Begeisterung kein Anlass.

Am Abend sang in der Halle ein russischer Sänger sehr nett allerhand
Volkslieder. Ich versteckte mich hinter einer Säule, um der P.-Gesell¬
schaft zu entgehen und hörte zu. Beim Fortgehen musste ich aber doch
an ihnen vorbei, wurde vorgestellt und musste mich eine Weile zu ihnen
setzen. Baron Haymerle sprach gleich von meinem Film, sagte, er sei sehr
gut, aber nicht, was für Amerika verkäuflich sei. Dort will man jetzt
nur Moral und Sentimentalitäten, je blöder desto besser. »Liane« ist
sehr herzig, aber wirkt doch flitscherlhaft. Asta Nilsen oder Erna
Morena würden mich mehr interessieren. Ansonsten gehören zur P.-Gesell¬
schaft eine grässliche Schwester der Hermine mit zwei miesen Kindern,
eine sehr mindere Frau Stein und eine arische Frau Weiss, die mir aber
dadurch nicht besser gefällt.

Jetzt hoffe ich mich zu einem einsamen Spaziergang fortzustehlen. Nach¬
mittag muss ich viele Briefe schreiben, an Cary, von dem ich hier Tele¬
gramm und zwei lange Briefe bekommen habe, an Emmy nach Gamming und di-
verse Ansichtskarten.

Ich kann mir die »technischen« Gründe nicht erklären, aus denen Lili
nicht mit ihrer Mutter reist, habe aber merkwürdigerweise geahnt, dass