Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 9. August 1924

Seelisberg, Kurhaus

9.8.1924.

Mein geliebter Freund. Ich habe mir eben meine Morgenpost geholt
und freue mich über Deinen lieben Brief. Ich war gestern so müde
zerpatscht und energielos, dass es mir nicht gelang, die P.-Gesellschaft
loszuwerden und zu schreiben.

Wie ich Dir schon auf meiner Karte sagte, war die Herreise so arg, wie
sie selbst meine wüteste Phantasie sich nicht ausgemalt hatte.
Eine halbe Stunde nach der Abfahrt von Luzern brach das Wetter los -
Sturm – und ein so plötzlicher Wolkenbruch, dass man trotz der schützen¬
den Plachen in zwei Sekunden bis zu den Knöcheln im Wasser stand. Man
flüchtete in den sogenannten Salon des Schiffes hinunter. Es war sofort
so überfüllt, dass die Hitze unerträglich war – einigen Damen wurde
schlecht. – Ich stand eingekeilt mit meinen zwei Stück Handgepäck, Ta¬
scherl und Schirm, hungrig, durchnässt da und kam mit Riesenverspätung
um ½9 bei Donner und Blitz hier an. Porges waren beim Essen. Das Zim¬
mer, das man mir anwies, war entsetzlich. Kurzum ich war recht depri¬
miert. Dann kam Hermine und ich beschimpfte sie wegen des Zimmers. Sie
hatte sich mit dem Versprechen des Direktors begnügt, er werde mich
schon unterbringen, ohne sich das Zimmer überhaupt anzusehen. Alle
Menschen sind ja so untüchtig und unverlässlich bis auf uns Zwei.
Nachdem ich genügend aufbegehrt hatte erhielt ich ein besseres Zimmer,
auch nicht schön, aber möglich und ich liess mir endlich etwas zu essen
geben. Ich hatte den ganzen Tag von Deiner Schinkensemmel und einem
Stückchen Schokolade gelebt.

Das ganze Hotel hier ist ein riesiger alter Kasten, erinnert an das Süd-
bahnhotel und alles hier irgendwie an den Semmering, doch ist es, wenn
auch grösser noch weniger elegant. Die Gegend ist gewiss sehr schön
und reizvoll, so viel ich bei dem miserbalen Wetter sehen kann, aber
kein Engadin. Dort ist es viel viel schöner – oder vielleicht kommt
es nur mir so vor. Das Hotel ist überfüllt, das Publikum sehr minder,
meist Schweizer Bank-und Geschäftsleute, einige drittklassige Englän-