Wien, 27. Juni 1924 7 Uhr Abend.
Geliebter Freund. Du bist kaum einen Tag fort und es gibt schon so
eine Menge zu erzählen, dass ich gleich heute damit beginne, so dass
der Brief fertig ist, wenn Dein Telegramm kommt und ich ihn gleich ab-
senden kann.
Der gestrige Familienabend war farblos und langweilig,ich war müde
und hielt mich mühsam bis 12 Uhr aufrecht. Das heutige Erwachen war
nicht sehr heiter, da mir gleich einfiel, dass Du mich nicht anrufen
wirst. Diese Gewohnheit Dir jeden Schnarrn zu berichten ist so stark
geworden, dass es mich fast unsicher macht nicht über alles Deine
Meinung zu hören.
Heute Vormittag wollte ich zuerst meinen Pass verlängern lassen, lief
aber entsetzt davon, als ich eine nach Hunderten zählende Menge antraf.
Entweder ich muss mich nächstens um 7 Uhr Früh auf den Weg machen
oder einen kostspieligen Schleichweg suchen. Von dort begab
ich mich zu Frau Rundt, die besonders liebenswürdig war, mir aber sagte,
es sei ganz sinnlos Frau Heller aufzusuchen, da diese mich auch nur
an Direktor Thal weisen könnte, was sie selbst besorgen wolle. Sie
meldete mich gleich telefonisch bei ihm an und ich ging auf ihren
Rat gleich zu ihm.
Er machte auf mich einen recht reservierten geschraubten Eindruck,
sagte, dass er die Gedichte erst sehen müsse (was doch selbstverständ¬
lich ist), meinte, es sei keine sehr aussichtsreiche Sache, da man das
Buch nur in Oesterreich in den Sukzessionsstaaten, aber sicher nicht
in Deutschland kaufen wird. Schliesslich verblieben wir, dass ich ihm
die Gedichte nächstens bringen werde. Ich weiss nicht, ob ich nicht
doch auch zu Frau Heller gehen werde, obwohl Frau Rundt es nicht zu
wünschen schien und es mir auszureden suchte. Sie frug mich übrigens,
warum ich mich nicht an Zsolnay wende, den der Name Géraldy locken
dürfte. Ich frage Dich, was Du davon hältst, da ich ohne Deine Zustim-
mung keinen Schritt in der Richtung tun will.