Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 26. April 1924

Vielleicht könnte es die Elisabeth Bergner, die wir gestern Abend
in »Je t'aime«, Ich liebe Dich von Sacha Guitry sahen. Aber ob sie
die Verse sprechen kann, ist noch die Frage. Immerhin, mich hat kaum
je eine Schauspielerin so ergriffen! Sie ist in ihrer Art so voll¬
kommen, wie die Duse es war.

Ich musste das Gespräch mit A. unterbrechen, weil Harry mich sprechen
wollte, der von einem Fest kam und zu einem Fest geht. Ich will A.
bis ich im Bett bin wieder anrufen.

Es ist ganz merkwürdig, wir sehen uns jeden zweiten Tag, sprechen uns
täglich 2–3 Mal telefonisch und doch sind wir uns innerlich nicht
so nah, als wir einander schon waren. Er leugnet es, er behauptet, ich
schliesse von vorübergehenden Stimmungen auf die tatsächlichen Gefüh¬
le. Ich glaube ja selbst, dass er mich im Grund mehr liebt als ich
ihn, aber ich bin eine so viel wärmere, zärtlichere Natur, dass ich mit
weniger Gefühl vielleicht mehr gebe, als er und vielleicht noch mehr
geben würde, wenn ich nicht eine Art Befangenheit ihm gegenüber hätte.

Unsere Beziehungen dauern nun über ein Jahr. Wir sind uns
so nahe gekommen, wie nur Menschen, die sich lieben, einander nahe kom¬
men können. Wir haben Stunden des schönsten und tiefsten Glück mit¬
einander geteilt. Ich kann mir kaum ein Leben ohne ihn mehr denken.
Und doch bin ich ihm manchmal so fremd, dass alles, was zwischen uns
war und ist, mir unwirklich erscheint und sonderbar.

7.5.1924. Ich würde bestimmt mehr arbeiten, wenn dieses entsetzliche
Wetter mich nicht so deprimieren würde. Seit 14 Tagen wieder kein re¬
genfreier Tag. Wir haben echtes Aprilwetter und dabei kaum mehr als
10–12 Grad. Sonntag bin ich 3 Stunden mit A. spazieren gelaufen.
Zuerst schien die Sonne, dann kam ein wolkenbruchartiger Guss, dann
wieder ein bischen Sonne und noch einige Güsse. Es war aber trotz¬
dem so schön, wie es eben unter allen Umständen zu Zweit ist, wenn man
sich liebt.