Baden-Baden, 2. August 1923.
Erst heute, Liebster, erreichten mich Deine Expresszeilen vom 30. Die
Post ist unwahrscheinlich schlecht und ich hoffe nur dass Du indess in
den Besitz meiner beiden Briefe von Sonntag und Montag gelangt bist.
Denk Dir mein Bruder Fredi kam gestern mich besuchen und bleibt bis
morgen Früh. Es tut so wohl wieder ein bischen sprechen zu können und
nicht ganz allein zu sein. Er ist in Griesbach, ein paar Stunden von
hier im Schwarzwald (ich glaube wegen eines Mädchens) und kam herüber,
um nach mir zu sehen. Sehr lieb eigentlich. Ich bin wirklich sehr froh,
dass er da ist, denn sonst würde ich noch mehr an Dich denken und ich
kann nicht leugnen, dass ich mit einiger Ungeduld auf Dich warte. Ich
weiss, es wäre klüger, das nicht zu sagen, aber ich bin nicht immer klug
und schon gar nicht berechnend.
Ich verstehe eigentlich nicht, warum Du drei Tage in S.
bleibst. Die Verbindung hieher war im Vorjahr eine sehr gute. Um 7 Uhr
Früh ab Salzburg, um 10 Uhr in Mündchen, um 12 Uhr ab München, gegen 8 Uhr
an Baden-Baden.
Wenn ich nichts anderes mehr von Dir höre, erwarte ich Dich am Mittwoch
Vormittag ab 10 Uhr im Sanatorium selbst, ersten Stock, Nummer 14. (Aber
ich hoffe, es wird schon einen Tag früher sein). Eine Verabredung im
Freien schon heute zu treffen ist zu schwer und überhaupt nicht rat¬
sam, da man nicht wissen kann, wie das Wetter sich gestaltet. Und je¬
denfalls bin ich jeden Abend von ½ 8 Uhr telefonisch an erreichbar
und Vormittag von ½ 9 bis 10. Man holt mich mit dem Lift zum Telefon
hinunter. Unsere Nummer ist 138. Hier im Hause ist von Bekannten nur die alte
Feinberg. Aber selbst, wenn sie sieht, dass Du mich besuchst, so ist das
mir wenigstens ganz egal. Und wenn Du willst gehen wir dann gleich
in den Wald, der hinter dem Hause liegt und der wundervoll schön und
still ist, geradezu ein Märchenwald. – Und nun sage ich Dir nur auf Wie¬
dersehen.
Meine »hochmütigen« Hände sehnen sich sehr die Deinen zu streicheln
und ich küsse Dich in Gedanken.
Deine Clara Katharina