Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 7. September 1923

Nach unserer gemeinsamen ersten Schweizer Reise

Bregenz, 7.9.1923. Abends.

Liebste Clara Katharina – an dem langen Aufenthalt Eures Zugs in Feld¬
kirch war ich Schuld – mein Koffer war nicht ausgeladen; – es zeigte
sich, dass er ganz im Hintergrund verstaut war und – ohne meine eben
noch rechtzeitige intervention nach Wien gereist wäre! Aber die Schweizer
Verlader, nicht die Österreichischen waren schuld. Hingegen war
mein Diner in Feldkirch höchst österreichisch – eine Schinkensemmel
ohne Butter und fast ohne Schinken, ein Stück fadester Emmenthaler -
Ankunft in Bregenz – Das Hotel Oesterreichischer Hof existiert nicht
mehr – ich frage einen intelligent aussehenden Bregenzer (gibt[']s auch)
nach dem besten Hotel, »Kreuz« scheint tatsächlich das zu sein, (Einem
schweizer Hotel dritten- bis zweiten Ranges entsprechend), – aber mit¬
ten in der Stadt gelegen, aber für längeren Aufenthalt undenkbar. Zum
Hafen, um die Baden-Bad[e]ner abzufangen – kamen weder um 4 noch um 6 -
hingegen läuft ein Telegramm im Kreuz ein, dass Ankunft morgen erfolgt
(zufällig ist der Kreuz-Besitzer Bruder eines Baden-Bad[e]ner Hoteliers).
Treffe hier im Hotel einen ebenso alten als jüdischen Bekannten,
aus früher reicher Familie, Doktor der Chemie – der hier jeden Abend
seit Monaten Klavier spielt (gegen freies Quartier und Gratiskost, so-
wie Douceurs der Gäste) Dr. Horvitz – Du kennst ihn gewiss aus früheren
Zeiten. Schicksale! – Diesem Konzert werde ich unverzüglich beiwohnen.
Und morgen Früh werde ich für alle Fälle Lochau besichtigen, das sich
vom Ufer aus sehr elegant präsentiert. Denn in der Stadt selbst bleibe
ich keineswegs. Vielleicht aber steige ich noch ein Mal in die Höhe arl¬
bergwärts. Das wird sich alles morgen entscheiden. Also schreibe mir
nicht, ehe Du eine Nachricht hast.–Du dürftest nun ungefähr in Kitz¬
bühel sein und Herr von K. verlässt Dich. Arme! Aber vielleicht nimmt
sich nun Dr. H, Deiner an? – Schlaf wohl; – komme gut an,finde alles
in Ordnung (daheim mein ich) und denke mein. Es war schön! Auf Wieder¬
sehen.

Dein A.