Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 11. September 1923

Bregenz, Lochau 11.9.1923.

(nach Wien)

Liebste Clara Katharina, wie ich Dir schon voraussagte – im Kreuz
war meines Bleibens nicht – trotz Musik und Bekanntschaft eines Bre¬
genzer Bankdirektors samt Gemahlin; – hier im Badestrandhotel fühl
ich mich behaglich; – es ist im Schweizer Stil gehalten und geführt, -
ausser uns kaum 3-4 Menschen da; hübscher Park, wunderschön am Ufer
gelegen, mit Schirmen und Strandbad, das ich noch nicht genossen, von
dem aber meine Tochter entzückt ist. Eigentliche Spaziergänge nicht
viel – gestern bin ich zum Pfänder aufgestiegen, dem Bregenzer Berg,
tausend Meter, mit köstlichem (etwas vernebeltem) Blick über den See
und die [S]chweizer Berge hin. Der Weg hinab nach Bregenz war unangenehm
(nicht zum Schwindeln, aber weit). Heute machen wir eine Tour um den
See. Die Stimmung lässt durchaus zu wünschen übrig; trotzdem geht die
Arbeit vorwärts.–Abreise nach Wien erfolgt Freitag oder Samstag, je
nachdem wir (von Innsbruck aus) de[n] Schlafwagen bekommen. Das erfahre
ich heut oder morgen. Um ein paar Zeilen kann ich Dich also nicht mehr
hieher bitten – vielleicht finde ich ein Wort von Dir bei mir zuhaus,
da Du doch am Tag meiner Ankunft vermutlich nicht in Wien, sondern in Ga¬
ming sein wirst? Wie seltsam nach diesen Tagen und Wochen nun tage¬
und fast wochenlang nichts von Dir zu wissen! Während ich Dir diese
Zeilen schreibe, sitze ich auf einer herrlichen Frühstücksterrasse am
See und der Morgensonnenglanz bricht die ganze Landschaft auf; ich
sehe nur die Gartenbeete auf den Wiesen vor dem Hotel und die Landungs¬
brücke – das gegenüber liegende Bregenz wird von der Sonne aufgezehrt
(was übrigens nicht mein Geschmack wäre – was für ein trauriges österrei-
chisches Provinznest! – Ohne Menschen stell ich mirs übrigens ganz
schön vor.)

Sei tausendmal gegrüsst, Liebste, ich habe immer wieder ein Bedürf¬
nis Dir für die guten und seelenbefreienden Stunden, die Du mir geschenkt
hast, die schlanken zärtlichen Hände zu küssen. Auf ein schönes Wieder¬
sehen. Dein

A.