Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 25.–27. Juni 1931


hier wohnen, um einem eventuellen Einschreiten der geschiedenen Gattin
vorzubeugen. Baron Melingo brachte alle meine Sachen und sein Gepäck
her.

Abend mit A. »Reporter« im Theater in der Josefstadt. Schlechtes Stück.
Dann »Weisser Hahn« gemachtmahlt. Gedrücktheit. A. sogar in sichtlicher
Verlegenheit.

26.6. Heute um ½2 Uhr Vormittag, wie schon unzählige Male weit Wochen
(meist gegen ½10 Uhr Früh oder Gegen 7 Uhr Abend) Anruf. Ich: »Hallo,
Hallo!« Keine Antwort. Ich sage: »Aha, der gewöhnliche Kontrollanruf,
ich weiss sehr genau, wer Sie sind.« – Wieder keine Antwort, aber ich höre,
wie mein Gegenpartner das Hörrohr auflegt.–Lag 2 Stunden mit wilden
Herzklopfen am Divan.

27.6. Furchtbarer Abend. Weiss nicht, wie man so etwas überlebt. Nach
quälendem Film »Lied des Lebens« im Deutschen Haus Nachtmahl. Er sagt,
dass Dr. D., bei dem er heute Mittag war, Palace-Sanatorium Dr. Hecht für
mich empfiehlt. Er würde dann später mit Prof. Schinnerer ins Südbahn¬
Hotel Semmering gehen (eine halbe Stunde wenigstens entfernt). Ich sagte
anfangs lächelnd: »Nein, danke, – wenn ich allein fort soll, dann nach
Bad Gastein, wozu mein Arzt rät«, dass ich aber, wenn er mit mir geht
mich ganz seinen Wünschen anpasse. Er kann sich augenblicklich ein
Alleinsein mit mir nicht vorstellen, will erst mit Schinnerer in meiner
Nähe, dann ganz allein, dann Heini, Arnoldo, Olga für paar Tage treffen,
eventuell mich ganz zum Schluss. Zunehmende Erbitterung. Am Weg zum
Auto erklärt er, er geht zu Fuss, ich soll allein fahren. Ich antworte:
»Ich auch« und stürze wie eine Irrsinnige von der Teinfaltstrasse in
die Stadt zurück. Er hinter mir drein. Beim Café Central holt er
mich ein: »Sei nicht dumm – wir fahren zusammen«. Mir ist so schwindlig,
dass ich mich an den Häusern anhalten muss, bis wir ein Auto finden.