Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 21.–23. Juni 1931

4 Uhr. Eben hat A. mich angerufen. Maupray ist schon in Wien, wie Frau
Clauser ihm gerade telefonisch mitgeteilt hat. Und sie kommt zwischen
6 und 7 mit M. zu ihm wegen des Vertrags und da das vielleicht 1½-2
Stunden dauern wird, soll ich erst um ½9 antreten. – Gut, ich habe ihm
nicht mehr zu sagen.

22.6. Die Unterredung gestern war so trostlos und so resultatlos, dass
ich schliesslich wie eine Irrsinnige in den Sturm und Regen hinaus¬
lief und ganz gebrochen nach Hause kam. Ich sagte ihm nach einem 3 stün¬
digen Gespräch: »Du bist schliesslich immer der Stärkere, denn ich er¬
trage es nicht, dass du schlecht aussiehst und diese Unterredungen
dich alterieren und werde schliesslich müd und mürbe.« Er immer wieder,
er will und kann mich nicht verlieren. Er will seine Freiheit, er will
allein sein und dann auch wieder mit mir und ich soll irgendwo in
der Welt immer irgendwo für ihn vorhanden sein und niemand bedeute
ihm so viel wie ich. Ich habe trotz zwei Quadronox-Tabletten nur 2
Stunden in der Nacht geschlafen und bin heute unfähig aufzustehen,
Nachmittag kommt Assistent Dr. Popper.

23.6. Dr. Popper fand mich sehr herunter, ich hatte vor ihm einen Wein¬
krampf. Der Dickdarmkatarrh, durch meinen Nervenzustand verschlechtert,
bedarf dringend Schonung und Diät. Er untersuchte auch mein Herz, und
sagte, da fühle er sich nicht genügend kompetent, ich soll einen Spezia¬
listen fragen. An der Wirbelsäule habe ich eine kleine Verdickung, die
ich mir bei dem Fall auf der Treppe in der Bründlbadgasse zugezogen
haben dürfte. Ich soll eine Röntgenaufnahme machen lassen.

A. rief mich dreimal an, um nach meinem Befinden zu fragen und dann um
7 nochmals, ob ich ein wenig spazieren fahren will. Ich sagte »Ja«, denn
im Türkenschanzpark tobte ein Fest mit furchtbar viel Lärm und ich
hatte den ganzen Tag im halbdunklen Zimmer gelegen, denn weder die al¬
te Aushilfeköchin noch ich konnten die Rollbalken aufziehen. Wir sind