Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 2. Juni 1931


Er meinte, er würde mich eventuell um ½11 mitnehmen, er müsse zur Manikür,
Creditanstalt etc. Aber alles in einem brüsken, unfreundlichen Ton. Ich
sagte sehr freundlich: »Ja, ich werde um ½11 bereit sein.«

Er kam schon um ¼ 11, ich begrüsste ihn, noch mein Butterbrot essend,
und er sagte mir, dass er zuerst in die Sempergasse will sich einen neuen
Gummimantel bestellen. Ich frug freundlich: »Sind wir heute Abend zusammen?«
Er: »Nein, heute fahre ich doch mit Frau Clauser und ihrer Schwester und
dem Mann, wenn er nicht absagt, über Land.« Ich war starr, sagte aber kein
Wort. Unterwegs frug ich ganz gleichgültig, ob Heini auch mit fährt, worauf
er antwortete: »Natürlich, es ist doch hauptsächlich für Heini.« – Wieso,
warum, und warum ich nicht mit dabei sein darf ist mir schleierhaft. Irgend
etwas stimmt in der ganzen Sache und seinen ganzten Verhalten nicht. Als er
mich beim Schottenthor absetzte, war mir ganz schwindlig. Ich ging über Hof,
Freyung und plötzlich stand ich vor einer offenen Kirchentür (dort wo
früher das Kriegsministerium war, ich weiss nicht wie sie heisst). Ich trat
ein, setzte mich auf eine Kirchenbank und weinte. Und obwohl ich doch an
all die Heiligen und den ganzen Klimbim um mich nicht glaube, nur an eine
unergründliche Macht, die um und in uns ist, an etwas Göttliches im Welten¬
raum, kam mir von irgendwo her Beruhigung und Friede wenigstens für eine
Weile. Ich machte ein paar Besorgungen und fuhr heim. Der Himmel dick,
grau und ein kalter Wind, kein Wetter für einen Ausflug. Morgen wollen
Beer-Hofmanns und A. zum Nachtmahl zu mir kommen.

Nachmittag desselben Tages. Eben frägt mich Else, ob ich heute Abend nicht
beim Herrn Doktor drüben nachtmahle, die Köchin habe ihr, als sie das Koch¬
buch hinübertrug gesagt, sie habe alle Hände voll zu tun, da sie Gäste am
Abend haben und eben Krebse abgesotten. Also Lügen! Niedrige scheussliche
Lügen! Damit er mich nicht einladen muss, fingiert er eine Landpartie, im
Auto ist ein beschränkter Platz und da Heini dabei ist, ist kein Platz für
mich; wo hätte er sich entschuldigt, wenn ich überhaupt gefragt hätten.