Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 1.–2. Juni 1931


bischen Rücksicht nehmen muss, wenn er, wie er immer wieder betont, tatsäch-¬
lich der Ansicht ist, dass A. mich braucht. Es sei mir lieber die Frau
kommt her, als er trifft sie irgendwo anders und er solle es abwenden, dass
mir noch mehr zugemutet wird, denn ich sei mit meinen Nerven einfach fer¬
tig. Wenn ich als quantité negligable aufgefasst werde, dann gehe ich einfach
davon. Daraufhin wurde er grob, erklärte, das sei eine Erpressung und ich
drohe und halse ihm Verantwortungen auf, – bis ich weinend zusammenbrach.
Es ist ja ganz unnütz diesem 35jährigen Menschen plausibel machen zu wol¬
len, was in mir vor geht und es ist so beschämend zu solchen Menschen Zu¬
flucht nehmen zu müssen. Erst als ich ihm nach einer Gesprächspause, die
durch einen telefonischen Anruf entstand, erklärte, dass es sehr Unrecht
von mir war, ihn mit dieser Bitte zu belästigen, ich bitte ihn jetzt Heini
nichts mehr zu sagen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und sich nur der Ge¬
sundheit seines Onkels mehr anzunehmen. – lenkte er ein, erklärte, er müsse
jedesfalls mit Heini über den Zustand seines Vaters sprechen und er werde
ihm auch ohne mein Einverständnis sagen, dass er mich als eine Notwendigkeit
für meinen Vater ansehe und er auf einer Reise bei niemand besser aufgeho¬
ben sein könnte, als bei mir. Wir reichten uns schliesslich versöhnt die
Hände. Ich war so verheult, dass ich erst eine halbe Stunde herumlaufen
musste, ehe ich zu Otto und Emmy ging bei denen ich den Abend verbrachte.
Was für gute liebe Menschen.

2.6. Ich hatte gestern ein Rohkost-Kochbuch in der Stadt besorgt und mir
in dem entsprechenden Geschäft entsprechende Ratschläge geben lassen und
rief um 10 Uhr nachhause gekommen A. noch an, um mich nach seinem Befinden
zu erkundigen (das er mir Nachmittag als elend geschildert hat) und ihm
über diese Diät (für die er sich interessiert hat) zu erzählen. Ich war
sehr herzlich und freundlich, er sehr kurz angebunden, sagte nicht einmal
»danke« oder dass es nett von mir sei.

Heute Früh telefonierte er mir sehr kurz, dass er Vormittag in die Stadt
gehe und ob ich auch hinein will. Ich sagte, ich hätte noch kein Programm.