Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 31. Mai – 1. Juni 1931

31.5. A. kam um 11 Uhr mich zum Spazierenfahren abholen. Er sich gespen¬
sterhaft aus. Nach zwei Minuten sagte er mir, die O. habe aus Franzensbad
angerufen, sie will herkommen, sie will die »Komparserie«, die Heini inze¬
niert, sehen, was er, A. sehr begreiflich findet – (das süsse Mütterchen!)
und er könne ihr das Herkommen nicht untersagen. Ich antwortete, man kann
schon, denn man trifft es ja bei mir auch. Aber als er sofort auffahren
wollte, sagte ich, es sei gar kein Grund sich zu alterieren, ich werde, wenn
irgend möglich, für diese paar Tage fortgehen, um ihm alle Konflikte zu er¬
sparen. Kaum war das erledigt erzählte er, er habe auch die Clauser ge¬
sprochen und er werde demnächst mit ihr, ihrem Gatten (?), ihrer Schwester
und dem Heini irgendwo hinausfahren und nachtmahlen!! Haha, man soll ja la¬
chen und sich aus nichts etwas machen.

Unsere Spazierfahrt mit Conversation über die politische Lage und Verdau¬
ungsstörungen. Gewitterschwüle und Wolken am Himmel (nicht bildlich ge¬
meint). Ueber Neuwaldegg, Hütteldorf, Kalksburg, Mauer – 40 Schillinge, da¬
von könnte eine Familie drei Tage leben. Manchmal möchte man schreien:
Wach auf, nicht uns nicht so zugrund, – aber man schreit nicht einmal mehr.
Um das vergeudete Geld ist vielleicht schad, aber um Herz und Seele, die
zu Tode gemartet werden, noch mehr. Darum weine ich.

1. Juni. Gestern Abend Kino (D-Zug 13). Nicht ungeschickt, aber langweilig.
Nachher Prochaska. Dann Wurstelprater. Ich frage mich wieder, wozu? Nicht
ein freundliches Wort, nicht ein Atom von Herzlichkeit. So schleicht man
nebeneinander hin. Wir sprechen vom Fall Auspitz und von Verdauung, Diät,
Rohkost und dann fährt man heim und er sagt Gute Nacht und ich antworte:
»Schlaf gut«.

Heute Nachmittag wieder bei Dr. D. gewesen. Ich sagte ihm von der Ankunft der
O. und dass ich für ein paar Tage fort will während sie hier ist, aus
Rücksicht für A. und obwohl es ein Opfer für mich ist. Aber er solle doch
mit Heini einmal sprechen und ihm sagen, dass man doch auch auf mich ein