Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 14.–15. Mai 1931


gelegen, 5 Uhr A. zur Bahn gebracht. Er nahm mich im Vorbeifahren mit,
ohne heraufzukommen, wohl um jeden wärmeren Abschied zu vermeiden. Bei¬
derseitige Stimmung verkrampft und unleidlich. Ich starke Schmerzen in
der Galle. Er frug: »Tut dir was weh?« – ich antwortete[: »]es ist wohl ganz
uninteressant, ob mir etwas weh tut oder nicht.« Wenn man sich so gegen
einen Menschen benimmt, dann braucht man nicht mehr zu fragen, ob ihm
was weh tut. Aber so viel sagte ich nicht, in meiner Antwort lag das
alles drin.

Nachher bei Hedwig, wo Bertha und Eduard B. (seit 20 Jahre nicht gesehen)
waren. Ich hatte anfangs solche Schmerzen, dass ich einen Gallenanfall
fürchtete, mit Atropaverin coupiert.

Heute Vormittag bei Krupnik ein Kleid, bei Eisenstädter einen Mantel
erstanden, fertige Sachen, da es mir an Nerven fehlt zu probieren. Nach¬
mittag bei Clara Hatvany, wo ich Gina Hötzendorf, die Witwe vom berühm¬
ten Conrad Hötzendorf kennen lernte. Sie erzählte, wie glücklich sie mit
ihm war. Sie war Mutter von 6 Kindern, als sie sich von Baron Reining¬
haus scheiden liess, um ihn zu heiraten. Er war Geliebter, Freund und
Vater für sie, wie sie sagte. Warum ist es manchen Frauen vergönnt so
glücklich zu sein?

15.5. Heute sein Geburtstag. Er rief in der Früh an. Ich frug, ob es
mir gestattet sei ihm alles Gute zu wünschen. Er antwortete: »Es
ist gestattet«. Sonst kurzes, kühles Gespräch. Er war gestern an [Pinken]¬
kogel, empfindet den Aufenthalt sehr angenehm, ruft morgen wieder an.

Er sagte nicht, wann er zurückkommt und ich frug nicht.

Vormittag Stadt, noch einige Besorgungen machen. Nachmittag Ida K. Wir
sassen auf der Terrasse und sprachen von alten Zeiten. Und wieder ein
Tag vorbei.