Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 6. Mai 1931


aber so unglücklich bin, meine Nerven so herunter, dass ich einfach
nicht mehr weiss, was ich tue. Und dann wieder die Szenen, wie sie schon
ungezählte Male da waren, nur noch viel schlimmer. Will ich gehen,
keucht er und rauft sich die Haare, kniee ich vor ihm und bitte ihn
einzusehen, dass es so nicht geht, dann ist er starr wie eine Mauer.
Ich habe schluchzend die Hände aufgehoben und ihm gesagt, wenn du
nicht anders zu mir sein kannst, dann lass mich doch endlich gehen.
Er sitzt da wie aus Stein. Er kann nicht mehr geben, als er hat, sein
Alter, ich soll mich auf Freundschaft umstellen. Mein Gott, ja, was will
ich denn, eine Freundschaft des Herzens und Ehrlichkeit, doch nicht
dieser Zustand voll Qual und Pein. Ich bin wie ein Dieb aus dem Haus
geschlichen, damit niemand mein verheultes Gesicht nicht.

6 Uhr Abend. Er hat angerufen, will um 7 herkommen. Aber jetzt bin
ich voll Angst. Was wird er mir sagen? Irgend ein neues quälendes
Programm. Ich werde stillhalten.

Während er da war ging draussen ein arges Gewitter nieder. Wir sprachen
wenig. Er meinte nur, ob ich nicht für ein paar Tage nach Baden hinaus
will, er würde mich in 5 Tagen wenigstens zweimal besuchen kommen. Ich
sagte, dass jetzt meine Nerven dem Alleinsein an einem andern Ort nicht
gewachsen sind, dass ich mir davon keine Erholung verspreche. »Dann,«
sagte er »gehe ich für 2-3 Tage auf den Semmering.[« ]Ich ant¬
wortete, dass ich das für das Richtigere halte. Nachher Radio trotz
entsetzlicher Nebengeräusche. Um ½9 als er fortging bat ich ihn, was
ich am Vormittag getan habe, zu vergessen. Er antwortete: »Es ist schon
vergessen". Leichter Kurs auf meine Wange, den ich ebenso erwidere.
Er sah erschütternd schlecht aus, ich warf mich nachher ins Bett.

Elende Nacht, trotz Schlafmittel um ½3 Uhr mit einem Schrei erwacht,
geträumt, dass eine alte kleine Frau im Dunkel des Zimmer an meinem
Bett stand. Nachher schlaflos bis ½5. Nochmals Phanodorn. Irrsinnige
Fliegeträume bis ½7 Uhr.