Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 30. April – 2. Mai 1931

30.4. Heute Früh Anruf A. Ich ersuche ihn mich erst Sonntag wieder
anzurufen, um der »Sanierung seiner Nerven« und Seelenhygiene von der er immer spricht nicht im Weg
Weg zu stehen und ohne damit seinen Abstecher auf den Semmering
damit beeinflussen zu wollen. Er soll mich indessen als abgereist be¬
trachten. Er: (darauf) »Vielleicht ist das wirklich gut.«

Bei den Kindern Abschied nehmen. Ich bin allein. Am Abend in meinem
kleinen Garten herumgerannt. Ein goldener Vollmond glänzte am blauen
Abendhimmel.

1.5. ich höre nichts von ihm. Die leise Hoffnung, dass er doch anrufen
wird ist verflogen. Wie konnte ich auch denken, dass er sich melden
wird. Er hat meinen Vorschlag sofort ohne Einwand angenommen. Er
braucht angeblich »Ruhe«, »Einsamkeit«, und dann erzählt er Andern, wie
er unter seiner Einsamkeit leidet (siehe Frieda), wenn er es auch dann
wieder ableugnet. Ein kühler, windiger Frühlingstag. Die Sonne wird
immer wieder von Wolkenfetzen verdrängt. Zweimal für eine Viertel¬
stunde fortgewesen, meine Hausfrau seit zwei Tagen fort, ich bin allein
im Haus. A. weiss das alles, weiss in welchem Zustand meine Nerven
sind, aber er hat meinen Vorschlag angenommen, ja er sagte sogar, dass er
voraussichtlich nächste Woche auf den Semmering fährt.-Wenn er noch
hinzugefügt hätte: aber später will ich mit Dir zusammen eine Reise
machen, – aber Gott behüte sich festzulegen – sich zu etwas verpflichten.
Und dabei behauptete er vor 5 Tagen bei unserer Auseinandersetzung,
dass er nur mich liebt und niemand ihm so nahesteht.

Er liebt mich vielleicht wie die alte Lampe in seinem Zimmer, von der
er sich auch nicht trennen konnte, aber ein Menschenherz kann man nicht
einfach so hängen lassen.

2.5. Ich war gestern gegen Abend allein im Kino, um die Zeit totzu¬
schlagen. Der Film »Einbrecher«, so elend, dass er mich nicht von meinen
Gedanken ablenkte. Am Heimweg ½10 vor seinem Haus vorbei. Alles fin¬
ster, nur in der Küche Licht. Wo mag er sein? – Heute Vorm. Stadt,