Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 25. Dezember 193 – 27. Dezember 1930


zu verstehen war, dass wir ihn allein zusammen verbringen würden. Ich
gestehe, ich hatte mir von dieser Feier einen wärmeren Beginn des
neuen Jahres erhofft oder wenigstens einen stimmungsvolleren. Er
sagte, auf mein erstauntes Gesicht hin: »Bist Du nicht einverstan¬
den?« Ich antwortete: »Gewiss, sehr einverstanden«. Daraufhin blieb
er blass und stumm und jeder Versuch ein harmloses Gespräch anzu¬
knüpfen blieb erfolglos.

Zu Hause (ich war zu Tisch bei ihm) stellte er mich zur Rede.
Ich antwortete, er könne mir doch keinen Vorwurf daraus machen, dass
ich im Augenblick erstaunt gewesen sei, da ich irriger Weise nach
unserer Besprechung mir einen andern Sylvesterabend vorgestellt
hatte. Das sei ja sicher sehr dumm von mir gewesen, aber keinesfalls
ein Grund aus einem erstaunten Gesicht eine Affaire zu machen. Ich
brach die ganz fruchtlose Debatte möglichst rasch ab. Es ist kein
Zweifel, dass er jedem Alleinsein mit mir, jeder Möglichkeit unsere
Beziehung erwärmen zu lassen, krampfhaft ausweicht. Ich werde jetzt
dasselbe tun. Ob er physische oder psychische Gründe hat, weiss
ich nicht. Er behauptete gestern wieder, er liebe mich um nichts
weniger, es sei ein Versagen der »Libido«, Nervenzustand. Wenn das
wahr wäre; würde er sich vor Zärtlichkeiten nicht fürchten, es
gibt doch auch eine Herzenszärtlichkeit, wenn eine andere nicht
mehr vorhanden ist.

26.12.1930. Vormittag bei Tante Klara, die etwas erkältet ist. Am
Abend mit A. im Kino (Olympia), nachher auf meinen Wunsch jeder
für sich nachhause. Ich sollte bei ihm nachtmahlen, aber ich lehnte
sehr freundlich ab. Jetzt werde ich diesen Tèöte-à-têtes auswei¬
chen.

27.12.1930. Zu Tisch Harry, Fredi. Am Abend mit A. bei »Elisabeth«
von Bru[c]kner, die mich als Aufführung enttäuschte. Constantin unsym¬
pathisch in der Hauptrolle. Nachher Imperial. Beide sehr freundlich.