Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 9.–19. November 1930

9.11. Wahltag. Starhemberg ist zu fürchten. Mittag die Kinder.
A. kam auf einen Sprung, während wir bei Tisch waren. Am Abend geh
ich zu ihm. Gott gebe, dass wir in einem herzlichen Einvernehmen aus¬
einandergehen und uns ein gutes Wiedersehen beschieden ist.

10.11. Die gestrigen Wahlen – keine Sieger und keine Besiegten.
Der gestrige Abend sehr herzlich. A. heute an die Bahn begleitet,
obwohl ich 37.7 Temperatur hatte.

13.11. Zwei Tage fiebernd im Bett gelegen mit arger Erkältung. Von
A. heute Früh eine Karte. Seine Novelle »Wahn« gelesen, die jetzt
veröffentlicht werden soll. Ausserordentlich als Kunstwerk, aber
mir fast ebenso unsympathisch wie die Novelle »Der Mörder«. Gab ihm
den Rat den Titel »Flucht in die Nacht« zu wählen. – Heute zu Tisch
Frieda, die mir einen Tropfen Gift dagelassen. A. dreht sich angeb¬
lich nach jeder Frau um und es sei kein Wunder, dass ihm die Frauen dann
schreiben. Ich habe nie vom Umdrehen was bemerkt und weiss nichts
von Briefen. Wenn sie etwas weiss, warum sagt sie es mir nicht und
wenn sie nichts weiss, warum beunruhigt sie mich. Freundschaft?

14.11. Kinder zu Tisch. Expressbrief von A. Ein Bericht, aber recht
herzlich. Hat Lili Kraus und ihr Kind besucht. Sehr geschmacklos,
aber ich reagiere gar nicht darauf, und sicher nicht brieflich.

15.11. Anruf aus Berlin, Stimmung ganz gut.

16.11. Vormittag Stadt,viele leichtsinnige Bestellungen, aber
ich will mich besser anziehen.

Frieda zum Nachtmahl und Diktat.

3. sehr netter Brief von A. Er dürfte Ende der Woche kommen. Ich
möchte nur besser aussehen.

17.11. Ich friere und arbeite.

19.11. Vormittag Sternwartestrasse Bücher holen, Nachmittag in der
neuen Wohnung der Kinder. Sehr klein, sehr bescheiden, aber sie werden