Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 30. August – 3. September 1930


Schloss ein Museum. Besonders ergriffen von der Handschrift Ludwig XVI.
auf einem Stückchen Tapete im Temple geschrieben.

Spaziergang im Schlossgarten. A. hing sich plötzlich in mich ein, drückte
meinen Arm an sich, auch sein Ton auffallend wärmer. Gleich fühlte ich
mich wohler und unbefangener.

Als wir zuhause in unsere Zimmer gingen, – die Verbindungstüre stand zu¬
fällig offen und ich hatte meinen Hut abgenommen, fuhr er mir durch
mein zerzaustes haar und küsste mich zärtlich. Ich weinte, aber ich
glaube, wir empfanden beide etwas wie Befreiung. Kann es doch nie wieder
ganz gut werden, so kommen doch vielleicht bessere Tage.

31.8. A. hat heftige Schmerzen, die offenbar dadurch ausgelöst wurden.
dass er seit Tagen gegen meine Warnung ohne Kopfbedeckung in der Sonne
ging und fuhr. Ich hab ihm so abgeraten, aber er folgt ja nicht. Jetzt
sieht er's ein. Wir sind eben nicht mehr jung genug, um alles tun zu dür¬
fen. Trotz seinem mässigen Befinden stündlich zunehmende Zärtlichkeit.
Ich bin sehr lieb zu ihm, aber sehr zurückhaltend. Ich bin so verschreckt
und ich weiss auch nicht, ob es gut für ihn ist.

1.9. Regen. A.'s Befinden besser. Ich finde ihn auch viel beser aus¬
sendn. Gott gäb's!

2.9. Gestern Abend im Theater, Gastspiel Werbezirk. Sie sehr unterhaltend,
aber eine Hoheit kommt in dem Stück vor, die in der Maske Kaiser Franz
Josefs auftritt, der Comble der Gemeinheit und Geschmacklosigkeit. Ich
war wütend. Heute Abend Kino. Langweiliger englischer Kriegsfilm »Nichts
neues in Flandern«. Jeden Nachmittag kommt A. zu mir oder ruft mich,-
schüchterne, aber zunehmende Zärtlichkeit.

3.9. Heute Vormittag erklärte A., er wolle allein spazieren gehen. Ich
war sehr einverstanden. Ich lief in die Stadt hinunter, war sehr ver¬
gnügt und hatte das Gefühl gut auszusehen. Ich wollte verschiedenes
besorgen, -ging in eine Bank Schillinge wechseln, erblicke zufällig den