Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 27.–30. August 1930


eine wundervolle Sommernacht nachhause gegangen. Es ist, als ob er Angst
hätte mich anzurühren oder auch nur anzusehen. Ich habe ihn in der Halle
unten gelassen und bin in mein Zimmer hinaufgegangen.

Der Dr. Aisch sagte heute Vormittag, als ich kaum eine Minute bei ihm im
Zimmer war: »Sie sind sehr nervös, ich glaube, zu temperamentvoll, – Sie
wären vielleicht fähig einen Mord zu begehen«. Ich sagte: »Warum? Sieht
man mir das an?« (Ich weiss – Dora Michaelis!!).

28.8. Allein fortgelaufen, allein gefrühstück und erst um 10 Uhr nach¬
hause, wo A. mich bereits erwartete. Spazierfahrt mit Postauto Hohen¬
dorferhöhe, dann zu Fuss zurück. Bis Nachmittag etwas vertrauterer Ton.
Dann plötzlich als täte es ihm leid,– starre Kälte, die bis zu dem Augen¬
blick anhält, wo ich ihm Gute Nacht sage und in mein Zimmer hinauf lau¬
fe.

29.8. Wir sehen beide elend aus. Wenn ich in den Spiegel schau bin ich
entsetzt, so fahl und gealtert bin ich. Ist er krank? Ist es Bösartig¬
keit? Wenn wir am Abend nachhause gehen, hängt er sich nicht einmal in
mich ein. Mir graut. Dabei habe ich das Gefühl, dass er ärztlich schlecht
behandelt wird und im Essen lauter Fehler begeht. Er trinkt Mittag Wein
mit Siphon, dann zwei Tassen schwarzen Kaffee, am Abend zwei Glas Bier
und dann noch Schnaps und in zwei Tagen drei Flaschen Gieshübler. Das
viele Wasser und die Kohlensäure müssen ihn blähen, Wein, Bier, Schnaps,
Kaffee an einem Tag können für den Blutdruck nicht das Richtige sein.
Aber wenn ich ihm auch noch so lieb etwas sage, es nützt nichts; er ist
wie ein eigensinniges Kind. Ich wollte ihm nach Tisch, da er sich nicht
wohl fühlte, behilflich sein einen Umschlag mit Thermophor zu machen.
Er antwortete, das treffe er auch allein, gab mir einen flüchtigen Kuss
auf die Stirne und ging auf sein Zimmer.

30.8. Ausflug per Auto nach Königswart und Glatzen. Das Schloss in Kö¬
nigswart besichtigt. Stil und alte Kultur sind kein leerer Wahn. Im