Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 12.–14. August 1930


A. Versuch mit unendlicher Liebe und Güte zu ihm zu sprechen, ihm diese
verflossenen Wochen zu schildern. Es prallt alles ab. Er erklärt gleich¬
zeitig, daß er mich nicht missen kann und dass er frei sein will. Ich
halte alles für krankhaft. Es ist so jammervoll, wenn man dieses grau¬
blasse Männchen um Freiheit schreien hört. Er verwüstet sein Leben,
wie er mich, wie er unsere Beziehung verwüstet hat. Ich hatte solches
Mitleid mit ihm, dass ich ihn streichelte.

13.8. Heute Früh teilt er mir mit, dass er die Clauser und ihre Schwes¬
ter zum Abendessen eingeladen hat. Mich ladet er nicht ein, obwohl ich
doch mit der Clauser in Verkehr bin. Ist das Bösartigkeit, um mir zu
beweisen, dass alles, was ich gestern sprach, ihm keinen Eindruck gemacht
hat, oder ist das nur krankhaft? Ich habe gar nicht reagirt, kein Wort
gesagt. Fort kann ich jetzt nicht, so heisst es, die Zähne zusammenbeis¬
sen. Um ½12 zirka rief er an, ob er mich in die Stadt bringen soll, er
fahre zur Manikür, da er sich alle Nägel abgebrochen hat. Ich
antwortete, dass ich gar nichts in der Stadt zu tun habe, daß ich
aber, wenn er nur wegen der Nägel hineinfährt, sie ihm selbst richten
könnte. So kam er herüber. Ich hatte schon alles vorgerichtet und gab
mir grosse Mühe es gut zu machen. Er sprach ganz Gleichgültiges, zeigte
mir an seinen Kleidern, wie er abgenommen hat (es ist erschreckend):
dann küsste er mich flüchtig auf die Stirn, sagte »Danke« und »Auf mor¬
gen« und ging.

14.8. Gestern Abend über eine Stunde mit Dr. D. gesprochen. Er behauptet
A.'s Zustand sei nicht krankhaft und A. habe vielleicht wirklich das
Bedürfnis sich frei zu machen. Ich sagte, dass ich ihn daran gewiss
nicht hindern würde, sein Benehmen aber mache auf mich den Eindruck
einer Verkrampfung, um sich theoretische Freiheiten zu sichern und
sie in einer kindischen Weise praktisch zum Ausdruck zu bringen.
Schliesslich sagte ich D. das Wichtigste sei A. gesünder zu machen.