St.Moritz 3.8.1930. Grand Hotel Victoria
(nach Wien XIX. Hochschulstr.)
Liebe, wieder einmal ein regenschwerer verfrühter Herbsttag, eigentlich
hätte man das Bedürfnis südlicher zu fahren, wenn das nicht so umständ¬
lich wäre. So hofft man auf den nächsten als auf einen Sonntag, der
verwöhnen soll. Heute Mittag soll ich wieder bei Ludwig zu Mittag es¬
sen, heute mit der Witwe des Tropenforschers Schliemann. Gestern, es
war nicht mehr zu vermeiden, hab ich im Privathotel bei Sachs de Re¬
naud gespeist; es war ganz erträglich, viel von Hugo und Minnie; – sowie
auch von »Mimi« – Frau Benedikt hatte sich damals eingebildet, dass
mit Mimi die Minnie gemeint sei – und Hugo hatte Dich in Schutz ge¬
nommen. Wie sonderbar, dass diese Sache, die nun über drei Jahrzehnte
lang vorbei ist, so heutig auf mich wirkte.-
Am ersten Abend, dem Nationalfeiertag, mit Heini, Ruth in Prontresina,
ins Schlosshotel von Jakob (und Martha) geladen; am gleichen Tisch
S. Fischers; (nachher sah man noch dem Tanze zu[)]. (W.’s wollen heute
noch nach Aussee zurück).
Spaziergänge, so weit sie möglich sind, fast immer allein; – gelegent¬
lich eine Stunde mit Julius oder mit Heini. – Arbeit recht mässig,-
bisher ohne Glauben, nur mit Zug beschäftigt; das Befinden könnte auch
besser sein.
Besprechungen aller Art: Rudolf Lothar, Direktor Altmann (Hannover,-
der die deutsche Urpremière vom »Spiel der Sommerlüfte«, bringen wird,-
einer der Guild-Directoren New York), der Einsamen Weg inszenirt; Herr
Stefan Auspitz (hier die Liebenswürdigkeit in Person), Dr. Richard
Wolff (mit dem ich Carambole spiele), Frau Denise Heller, (die ich bis¬
her nicht kannte und die mir im Auftrag von Frau Clauser ein fran¬
zösisches Honorar von Stock überbrachte), Herr von Zsolnay, der Ael¬
tere, der den hier im Hotel weilenden Tolnay besuchte. Und andere
mehr.–Im ganzen aber hat man überhaupt nicht den Eindruck von Saison:
[»]Victoria« – statt 300 Gästen hat 130; – das Stahlbad – statt 450, -150;