Wien, 1. August 1930.
An A. S.
Mein liebes Kind, jetzt erst bin ich damit fertig geworden Deinen
Expressbrief, der gestern Abend um 7 Uhr eintraf, ganz in mich aufzu¬
nehmen.–Es ist mir klar geworden, dass ich mich Dir in meinen Briefen
trotz allem Bemühen nicht verständlich machen konnte, wie eben eine
Verständigung aus einer solchen Entfernung heraus überhaupt kaum mög¬
lich ist. Nie weiss der Andere in welcher Stimmung und Verfassung
ein Brief geschrieben oder empfangen wurde. Man kann weder den Klang
einer Stimme, die Betonung eines Wortes, noch den Ausdruck des Gesichtes
mitgeben oder richtiger vergegenwärtigen. Das ist es auch, was ich zu
allem übrigen vorausgeahnt und befürchtet habe.
Ich möchte Dir nur sagen, dass wenn ich in jenem Brief die fall¬
weisen Reisen nach Berlin erwähnte, ich eben betonen wollte, dass meine
Einstellung gerade diesen Reisen nach Berlin gegenüber, ob sie nun
ein oder zweimal im Winter stattfinden, eine gleichgültige geworden ist,
und wenn ich von einer programmlosen Ruhe für die nächsten zwei Monate
sprach, so habe ich damit nicht nur eine Störung durch die O., sondern
jede Störung gemeint, wie man eben nach einer grossen Krankheit eine
Rekonvaleszenz braucht und ich würde aus diesen Wochen am liebsten so¬
gar Frieda ausschliessen, gegen die ich persönlich doch nicht das ge¬
ringste habe.
Deine Programmlosigkeit, die Du Freundschaft und Freiheit nennst, sagt
mir gar nichts. Da Du anderer Ansicht bist, – wirst Du mich von der
Schönheit und Entwicklungsfähigkeit dieser Ein- oder Zusammenstellung
wohl überzeugen müssen.
Als ich Dir den Vorschlag machte Dich in der Nähe der Schweiz zu tref¬
fen, da war es die Antwort auf den hier vorgefundenen Brief, in dem Du
mir schriebst, dass Du auch dort hinkommen würdest, wo ich sein werde
und weil ich damals und bis vor einigen Tagen, gerade im Anschluss
an jenen Brief, noch an irgend eine spontane Regung Deines Herzens