Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 28. Juli 1930

St. Moritz, 28.7.1930.

Hotel Victoria.

Morgens.

Mein liebes Kind, auch dies ist noch nicht die Antwort auf Deinen Brief
vom 23. Ich will Dir heute nur über die äusseren Ereignisse und den
Alltag in St. Moritz berichten, ehe ich mich auf einen Spaziergang bege¬
be, der heute hoffentlich möglich sein wird, obwohl schon wieder dunkle
Wolken aufziehen. Weiter als bis zum Stalzersee und bis nach Pontresi¬
na bin ich noch nicht gelangt; manchmal allein, manchmal mit Heini. Vor¬
gestern Abend war ich bei Emil Ludwig – eine wunderbare kleine Villa
nah dem Suvrettahaus und ganz verborgen. Er hat sie seiner Frau zum sil¬
bernen Hochzeitstag geschenkt. Ausser mir anwesend Bruno Walter mit
Gattin, zwei englische Italienerinnen oder italienische Engländerinnen,
weisshaarig und elegant und Jakob W., sowie ein Züricher Arzt, Ein unver¬
gleichliches Souper mit Champagner; – anregende Unterhaltung über Wagner
und näherliegende Themen.– Ludwig klug, auf sich bedacht, eitel
und überliebenswürdig, excellirt besonders in einer Hauptmann-Kopie.
Gestern Abend waren S.Fischer und Frau und Jakob bei mir. Die un¬
glückseligen Buchverhältnisse wurden besprochen und ich merke, dass
S. F. gewissermassen mehr um mich besorgt ist als ich selbst. Schon
neulich am Stalzersee hatten wir allerlei Praktisches zur Sanierung be¬
sprochen, ohne zu einem Resultat zu gelangen.–

Gestern Abend schon kam Ruth an; für morgen Dienstag wird Julius erwar¬
tet. Mein weiteres Verbleiben ist von all dem wenig abhängig; am wahr¬
scheinlichsten bleibt es, dass ich von hier aus, ohne besondere Unterbre¬
chung um den 10. herum nach Wien fahren werde. Programmlosigkeit und
Ruhe erscheint mir für meine Nervenzustände wichtigst.– Das Essen ist
leidlich, manchmal gut; bekömmlich ist es keineswegs. Die kohlensauren
Bäder gebrauche ich mit Vorbehalt; erfrischend sind sie ja doch nur zu¬
haus – wo das Bett ganz nah vom Bad steht.

Mit der Arbeit bin ich auch noch nicht weiter gekommen; Heini hat den