Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 23. Juli 1930


worten; – es hat im Mittelalter glaube ich eine Todesstrafe gegeben, oder war
es nur eine Folter – da legte man einen Menschen auf eine Bank, es
war sogar, wie ich mich erinnere, ein bequemes Ruhebett, und liess einen
Tropfen, einen kleinen harmlosen Wassertropfen auf seine Stirn nieder¬
fallen, immer an dieselbe Stelle. Er kam immer wieder, in kleinen Pausen
immer wieder – bis der Mensch daran zugrunde ging. Tropfen, viele
Tropfen sind mir ins Herz gefallen, das ganz erfüllt war von der rein¬
sten, besten Liebe zu Dir. Tropfen – aber es waren sehr, sehr viele und
es hat sehr weh getan.

Und glaubst Du, ich habe die kühle Sachlichkeit Deiner zwei Briefe (in
drei Wochen) nicht gespürt? Nicht die programmmässigen Fragen am Tele¬
fon, an dem ich auf ein gutes Wort wartend stand und durch die Kürze
der Zeit, die einem interurbanen Gespräch zugemessen ist, irritiert. –
Am Bahnhof noch sagtest Du: »Ich gehe auf circa 14 Tage mit Heini
in die Schweiz, um den Ersten herum werde ich Dich vielleicht bitten
hinauszukommen oder anderswohin« – Und dann – nicht ein Wort mehr da¬
rüber und nur die höchst unverbindliche Frage: »Was tut Du nach Karls¬
bad?« – Sollte ich mich vielleicht in eine andere Einsamkeit begeben? -
Alles in mir drängte zu diesem Brief, den ich Dir in die Schweiz
schrieb, schreiben musste. Ich bat Dich mir bald zu antworten.

Wenn ich Dir am Sonntag nicht telegraphiert hätte (Du weisst nicht,
in welcher Verfassung ich war), dann wäre die erste und einzige Nach¬
richt aus der Schweiz und die erste in sieben langen Tagen die dürfti¬
ge Karte am Montag Nachmittag gewesen. Hattest Du denn wirklich keine
Ahnung, was in diesen Tagen und Stunden, die ich wartete, in mir vorgehen musste?
Was ich in diesen zehn trostlosen Stunden der Heimfahrt empfand, da ich
mich dem telegraphisch angekündigten Brief entgegenfürchtete?

Und dann las ich endlich diesen Brief.– Mein Kind, wenn es wahr ist,