Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 23. Juli 1930

Du sagst an einer Stelle, dass Du Dir keiner geringeren Innigkeit der
Gefühle bewusst bist als früher und an einer andern, dass die Entwick¬
lung unserer Beziehung jetzt mehr nach dem Rhythmus Freundschaft als
nach dem der Liebe – und nicht zu ihren Ungunsten tendiert. Nein,
mein Kind, das alles stimmt nicht.

Erstens habe ich von der Gunst dieses Umschwungs oder dieser Ten¬
dierung bisher nicht das Geringste bemerkt, sondern ausschliesslich das
Gegenteil. Zweitens glaube ich nicht an diese umschriebene Freund¬
schaft, die in einer reinen Form für Herrn Schwarzkopf wertvoll sein
mag, in ihrem problematischen Wesen aber zwischen uns nur Konflikte
und Irritationen schaffen würde.

Drittens bin ich überzeugt, dass das, was zwischen uns vorhanden oder
noch vorhanden ist, eine zertretene, verkrampfte, verwundete Liebe ist.
die bewusst und unbewusst zu Tode gemartert wird.

Gerade an jenem Sonntag, am Tage, ehe Frau Dora Michaelis in Wien auf¬
tauchte, hatte ich das sichere Gefühl, dass es nur eines längeren, unge¬
störten Zusammenseins bedurfte, um jene Atmosphäre wieder hervor zu zau¬
bern, in der zwei Menschen, wie Du und ich sich glücklich fühlen und
wiederfinden können – in einer Atmosphäre ungetrübter Zärtlichkeit.
Wobei ich, so schwer es mir fällt, es niederzuschreiben, – aber um
Missverständnissen vorzubeugen, betonen möchte, dass ich hier nicht an
eine Erotik im rein sexuellen Sinn denke und an weitergehende Möglich¬
keiten. Und gerade im Anschluss an jenen Sonntag war es mir umso unver¬
ständlicher, dass Du Frau M. gegenüber den Wunsch nach Entfernung ge¬
äussert hast und jedenfalls in einem Sinn, der ihr gewissermassen den
Impuls gab so zu mir zu sprechen, wie sie es getan hat.

Gewiss kann man aus einer guten Beziehung heraus den Wunsch haben ein¬
mal ein paar Wochen allein zu sein. Aber hier ging es darum sich wieder
zu finden und nicht sich noch mehr zu entfernen. Waren wir uns nicht