Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 21. Juli 1930

St. Moritz Bad, 21. Juli 1930.

(nach Wien, XIX. Hochschulstrasse 16)

Mein Liebes Kind – ich habe Dir nicht nur ein paar Karten geschrieben,
auch 3 oder 4 Briefe habe ich zu schreiben begonnen, aber es standen
doch nur die hundertmal gesagten und hundertmal gehörten Dinge
drin – ihre Wiederholung hätte Dich noch mehr ermüdet als mich. Also
lass mich nur mit wenigen Worten auf Deinen Brief vom 15. erwiedern.
In einem Punkt bin ich völlig Deiner Ansicht, dass ein Winter wie der
vergangene nicht mehr kommen dürfte; – nicht müsste – auch ich fühle
mich ihm nicht gewachsen. Aber wenn Du sagst, dass Du als einzige Voraus¬
setzung eines Wiedersehens und Zusammenseins in nächster Zeit nur
Liebe und Sehnsucht gelten lässt, dass Dir Freundschaft nicht genüge,
dass Du auf sie nicht reagieren und für mich bei meiner Rückkehr weder
in Wien noch sonstwo zu finden sein würdest – so heisst das doch das
Wesen menschlicher Beziehungen – und gar solcher, wie es die unsern
sind – einfacher und dogmatischer sehen, als sie im allgemeinen zu sein
pflegen.

Denn so wahr es ist, mein Kind, das es ich im Laufe der Zeit
unsere Beziehung in mancher Hinricht verändert hat, so bleibt es doch
ebenso wahr, dass ich Dich, Dein lebendiges Dasein, Deine Gegenwärtig¬
keit aus meiner Existenz nicht wegzudenken vermag und ich glaube
nicht, dass es Dir mit mir anders ergeht. Es wäre peinlich-müssig
wieder einmal darüber zu reden, dass diese Veränderung unserer Bezie¬
hung nur in allgemein menschlichen Gesetzen – inwieweit sie in meinen
Eigenschaften, inwieweit sie in den deinen begründet sein mögen; – darü¬
ber aber kann kaum ein Zweifel bestehen, dass die Entwicklung dieser Be¬
ziehung – und nicht zu ihren Ungunsten, – eher nach dem Rhythmus Freund¬
schaft als nach dem der Liebe tendiert. Vor Monaten schon habe ich Dir
das Gleiche gesagt und war mir keiner geringeren Innigkeit in meinen
Gefhlen für Dich bewusst, als in den Monaten vorher.-