Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 21. Juli 1930

Und so sehr ich mich einem Wiedersehen mit Dir entgegenfreue, so wäre
es doch wieder eine Unwahrheit, wenn ich heute schon sagte, dass ich
Sehnsucht empfinde. Du weisst ja, mein Kind, ich habs Dir ja nie ver¬
schwiegen, wie oft ich in allen möglichen Perioden meines Lebens ein Be¬
dürfnis des Alleinseins, des Losgelöstseins, ja geradezu des Getrennt¬
sein von den Menschen, die mir am nächsten standen oder stehen, über¬
kommt. Und so wird es Dich nicht wundern, wenn ich Dir gestehe, dass mir
bei allem Empfinden von Zusammengehörigkeit diese Wochen der Entfernung -
- wie Dir gewiss auch – beruhigend gewesen sind, und, und dass ich erst
nach dem zehnten August, vorausichtlich direct von hier nach Hau¬
se zu kommen gedenke – eventuell auch dorthin, wo Du Dich zu diser Zeit
aufhalten solltest – ohne Deine Entschlüsse beeinflussen zu wollen.
Und ich bitte Dich, mein Kind, sage nicht und vor allem glaube nicht,
dass ich es aus irgend einer Absicht der »Selbstbewahrung« vermeide, gute
und warme Worte zu wählen.–Ich weiss nicht, ob diese hier – gut oder
warm sind; – klar und einfach sind sie gewiss – und ich bin mir im
tiefsten bewusst – Dir, Du Liebe, der ich so viel zu danken habe, in
diesem Augenblick so innig nah zu sein, als ichs jemals gewesen bin, ob
Du es nun Liebe oder Freundschaft nennen willst, was uns verbindet.-
Ich will diesem Brief weiter nichts Konkretes beifügen, berichte nur,
dass ich mich nach etlichen, nicht sehr guten Tagen recht wohl befinde
und wünschte sehr von Dir, am liebsten vorerst durch ein Telegramm zu
erfahren, wie Du in Wien angelangt bist und wie du Dich befindest.
Ich grüsse Dich tausendmal. Dein A.