An A.S.
Karlsbad, Haus Osborn.
15.7.1930.
Mein liebes Kind, ich habe Dich eben telefonisch angerufen, da ich Dich
um Deiner Nerven willen nicht unter dem Eindruck des vorhergehenden Ge¬
spräches abreisen lassen wollte, das allerdings in einer nur zu begreif¬
lichen Stimmung begründet war. Du fragst: »Was tust du nach Karlsbad?«
Aber es fällt Dir nicht ein zu sagen: Ich freue mich Dich nach der
Schweizer Reise wiederzusehen. Du sagst (am Telefon): »Ja, hast Du ge¬
glaubt, dass wir uns nicht mehr wiedersehen werden?« – Aber Du vermei¬
dest es zu sagen: Natürlich will ich Dich nach der Schweizer Reise wie¬
dersehen, wie Du eben jedes gute und warme Wort vermeidest. Und darum
muss ich Dir diesen Brief schreiben.
Es handelt sich nicht darum, ob wir uns in Wien oder anderswo wiedersehen
auch nicht, ob das am 1. oder 2. August sein wird, sondern, ob wir uns jetzt
überhaupt wieder sehen sollen.
Ich werde Dir sehr gern Vorschläge für ein Beisammensein unterbreiten oder
von Dir entgegennehmen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, auf die
allein es mir ankommt. Freundschaft genügt mir nicht, es muss Liebe und
Sehnsucht sein, die mich ruft.
Verliebte Freundschaft kann am Beginn einer Beziehung stehen, im 8. Jahr
aber setzt sie eine Abgeklärtheit voraus, die weder bei mir, noch bei Dir
vorhanden ist, und ausschliesslich zu Irritationen und Qualen führt.
Wie Du heute zu mir stehst musst Du fühlen, wissen, – und es nutzt nichts
sich an Worten vorbeizudrücken, die nun einmal doch ausgesprochen werden
müssen. Es gibt keine Verpflichtungen, so lange man liebt. Denn in der
Liebe ist alles selbstverständlich, weil es zugleich beglückend ist.
Nie hätte man mir sagen können, die Verpflichtung mich in Dein Sommer¬
programm einbeziehen zu müssen, ennerviere Dich, der Gedanke nach der
Reise mit Heini auch mit mir noch reisen zu müssen, sei eine Belastung,
wenn du Dich nicht in diesem Sinn geäussert hättest. Und wenn Du Dich so
geäussert hast, so ist das wie in allen andern Konflikten in Deiner