Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 14. Mai 1930

Wien, 14.5.1930.

An A.S. in die Sternwartestrasse,
nachdem er mit Olga
und dem Schwiegersohn Arnoldo einige
Tage am Semmering verbracht hatte und
mit Olga nach Wien herunterkam.

Mein liebes, liebes Kind,

verzeih, wenn ich Dir meine kleine Gabe und meine in¬
nigsten Wünsche für morgen nur hinüberschicke und der Feier des Tages
fern bleibe.

Da Deine geschiedene Gattin mit Dir zugleich vom Semme¬
ring herunterkommt und den morgigen Tag hier verbringt, so ziehe ich
mich eben zurück. – Auch könnte ich vielleicht nicht mit dem frohen und
unbefangenen Gesicht bei Dir erscheinen, das Du sehen willst. Aber mei¬
ne Wünsche, die ich Dir hinübersende, sind um nichts weniger herzlich
geworden.

Aber gerade in Anbetracht des morgigen Tages scheint es
mir notwendig an Unausgesprochenem nicht länger vorüberzugehen.

Ich bitte Dich, mein Liebes, diese Zeilen mit Güte zu le¬
sen. Du selbst musst doch spüren, dass es so nicht weitergeht und dass
es mein Herz und meine ganze Seele ist, die hier noch einmal zu Dir
spricht.

Die Kränkungen, die mir in dieser letzten Zeit wider¬
fahren sind, bilden nur eine Bestätigung alles dessen, was ich in die¬
sem trostlosen Winter empfand, in dem wirklich keine gute und keine
wirklich frohe Stunde mehr für mich abgefallen ist. Ich will nicht
von dem Affront sprechen, den diese Fahrt auf den Semmering mit Deiner
geschiedenen Frau vor meiner Familie, vor allen Bekannten und auch
vor Deiner Familie für mich bedeutet, denn er ist nichtig im Vergleich
zu der ungeheueren Lieblosigkeit, die aus diesem Vorgehen sprach.
Ich glaube nicht, dass ich in all den Jahren Dich oft um etwas gebeten