Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 22.–23. Januar 1930

A. ist eben bei Dr. D. ein Kardiogramm aufnehmen lassen. Wenn irgend
etwas Bedenkliches gefunden wird, dann soll kein Wort über meine Lip¬
pen kommen und ich will ihm so gut ich kann weiter dienen. Wenn es
aber beruhigend ist, dann will ich noch einmal versuchen ganz ruhig
und gütig mit ihm zu sprechen, ihn bitten ehrlich zu sein. Ist seine
Liebe zu mir geringer geworden, dann still auseinandergehen, aber nicht
aneinander weiter schleppen.

Ich erwarte seinen Anruf, sobald er vom Arzt nachhause kommt.
Schon 8 Uhr, er hätte um ½8 anrufen sollen. Ich ängstige mich. Kein
Mensch weiss, wie ich seit Monaten leide.

Ach, wie sehr wünschte ich gut zu ihm sein zu dürfen, Freude in sein
Dasein bringen können und wie unmöglich wird es mir gemacht.

23.1. Seine Antwort auf alles, was ich vorbringe: »Ja, du hast Recht,
ich habe mich verändert, es ist eine seelische Stumpfheit; der Arbeit,
der Natur und auch dir gegenüber. Habe Geduld und Nachsicht mit mir.[«]
Mein Vorschlag auseinander zu gehen stösst auf Entrüstung. »Kannst
du dir vorstellen, dass wir uns von heut auf morgen nicht mehr sehen
sollen.« Er sagt: »So sieht nicht das Ende einer Beziehung aus, ich
betrachte uns nicht als hoffnungslos.« Gleichzeitig schlägt er mir
aber vor unsere Beziehung als »Freundschaft« fortzusetzen. Das kann
ich nicht. Ich will hier kündigen, abreisen, diesem Zustand ein Ende be¬
reiten. Er ist wütend, aschgrau im Gesicht, ich weiss nicht mehr, was
ich soll. Ich schluchze wie eine Verzweifelte. Er streichelt mich,
lehnt seinen Kopf an meine Brust. Ich kann nicht die Gespräche von
drei Stunden wiedergeben. Um 12 Uhr begleitet er mich stumm nach
Hause. Vor meiner Gartentüre küsst er mich gerührt. Liebe? Reue? Oder
nur Mitleid?

Heute ein trostloser Tag. Vormittag das Stück »Dame« ins Volkstheater
getragen. Begeisterter Brief einer Baronin Pieta über den Roman. Es
gleitet an mir ab. Ich wälze immer dieselben Gedanken in meinem Kopf.