Wien, 29.12.1929.
An A.S., Berlin.
Liebster,
ich danke Dir sehr für Deinen Anruf heute Früh, ich war
schon wenigstens zehn Minuten wach, lag aber noch im Dunkeln und
hatte gar keine Lust auf das »Gespenst« zu läuten, das mir täglich un¬
angenehmer wird. Gestern hatte ich sehr viel mit dem Familientee
am Nachmittag zu tun, da ich mir alles selber machen musste, auch die
Sandwiches, die herrlich ausgefallen sind. Das Gespenst war schon
von der Nusstorte ganz erschöpft und konnte weder Tisch decken noch
servieren. Es hat aber auch so alles geklappt und die Stimmung war recht
gemütlich. Hans Porges hat mir übrigens am Radio eine Erdleitung ge¬
macht, so dass man jetzt viel besser hört.
Heute Vormittag telefonierte mir Bertha Z.,es sei
morgen Vormittag Generalprobe von »Wiegenlied« und so besprachen wir
meinen Besuch für heute Vormittag. Ich war um ¾ 12 dort, brachte
ihr eine Kopie meines Briefes an Benedikt und den Artikel gegen die
Generalproben, den ich ihr vorlas. Sie fand ihn ausgezeichnet und,
obwohl sie (natürlich) eigentlich für die öffentlichen Generalproben
ist, meinte sie, der Artikel sei so gut und interessant, dass man ihn
wohl veröffentlichen sollte. Sie will mit Ullman von der Allgemei¬
nen, eventuell mit Scheyer sprechen. Sie meint, ich könnte doch auch
mit Benedikt sprechen und, wenn ich mich auch zu dem Artikel beken¬
ne und jeder wissen wird, dass er von mir ist, doch mit einem Pseudo¬
nym unterzeichnen sollte. Ich sagte ihr, dass ich gar keine Eitelkeit
in der Richtung habe, aber Anonymität mir als Feigheit erscheint.
Im übrigen fand sie, ich sollte mehr dergleichen schreiben, wenn man
so schreiben kann, sei es schade, es nicht zu verwerten. Ich kann ihr
nicht plausibel machen, wie das bei mir ist, sie würde mich kaum ver¬
stehen. Sie war übrigens sehr nett, gab mir lachend zu verstehen, dass