Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 5. November – 20. Dezember 1929

5.11. Heute hat man ihm zur Ader gelassen. Ich war am Abend bei ihm.
Er war so müde, dass ich ihm die Schuhe aufknöpfelte und auszog, damit
er rascher ins Bett konnte.

6.11. ohne Mädchen. Sie ist angeblich hier rheumatisch geworden. Habe
wahnsinnig viel zu tun und sehe elend aus.

20.12. 10 Uhr abends. Ich habe wochenlang nicht eingeschrieben. Meine
innere Zerrissenheit zu gross. Morgen Première »Spiel der Sommerlüfte«.
Mittwoch bei der ersten Kostümprobe. Heute bei den Generalprobe. Nachher
mit Hofrätin Z., A., Beer-Hofmann, Moissi und Terwin im Grand Hotel. Ich
glaube an einen Erfolg und wünsche ihn aus tiefstem Herzensgrund. Die
Stimmung des Publikums war in der heutigen Probe schon sehr gut bis
auf einige feindlich Gesinnte: Ernst Lothar und Trebitsch. waren schon
vorher entschlossen das Stück nicht gut zu finden. Je mehr ich die
Intellektuellen in der Nähe sehe, desto mir bin ich angeekelt. Nie früher
habe ich so viel Bösartigkeit, Unbeständigkei und Bestechlichkeit
getroffen. Ich hab Ausreissgelüste. Es ist alles so schwer für mich.
Es war eine so trübselige Zeit. A.'s physische und psychische Verfassung
machen Rücksichtnahme nötig, die oft über meine Kraft geht. Man muss
jede Verletzung hinnehmen: zeige ich die kleinste Verstimmung, so sind unabseh¬
bare Szenen die Folge. Und gleich nach Weihnachten fährt er nach Berlin.
Seit wir von Territet fort sind war kein wirklich guter Tag und trotz
allem fühl ich jede Freude und jedes Leid mit ihm. Er hat schon keinen
Menschen auf der Welt, der so zu ihm steht.

Ist es eigentlich nicht unerhört, dass der Sohn nicht zur Première des
Vaters her kommt? Wahrscheinlich lässt ihn die O. nicht her, damit A.
nicht die Reise nach Berlin aufschiebt. Ich höre, sie hat wieder Schulden
gemacht und braucht Geld.