Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 19.–21. August 1929


alles. Er scheint davon befriedigt, versucht liebevoll zu sein. Ich
bleibe kühl. Glaubt er wirklich ich werde mir dieses »Verständnis«
für seine Beziehung zur O. auf den Hut stecken und vor Freude jauchzen?
Wäre er nur 10 Jahre jünger und gesünder, so wüsste ich, was ich zu tun
habe. So aber will ich jetzt am Vorabend dieser heitern Reise es zu keinem
Krach kommen lassen, der einschneidend wäre.

Jetzt 6 Wochen nach der Operation der O. wird alle paar Tag mit Berlin
telefoniert, jeden Augenblick kommt ein Expressbrief von ihr und ich soll
das belanglos finden. Vielleicht werde ich bald so weit sein.

Reisetag: Heute Mittag bei A. Letztes Mal mit Schinnerer. Ich bin inner¬
lich so müd, dass ich kaum sprechen kann. Nachm. bis zu meiner Abreise
Carry, der mich dann noch eine Strecke im Auto an die Bahn begleitet.
Carry ist eigentlich das einzige Pozitive in meinem Leben.

20.8. Früh. Zwei Stunden vor München. Kalte schlaflose Nacht, Regen
an den Fenstern, Stimmung flau.

21.8. München. Regen. Prachtvolles Hotel (Continental). A. sehr liebe-
voll, aber ich fühle mich ihn entfremdet. Am Abend »Drei Groschen Oper«
mit Ruth Albu (Heinis Freundin), die die Polly spielt. Begabtes, hüb¬
sches Wesen. Die ganze Vorstellung teilweise besser als in Wien.
Nachher Vier Jahreszeiten-Bar. Mit Ruth genachtmahlt, die recht lieb
ist. Ich selbst fühle mich müde und alt. Morgen mit Flugzeug nach Lau¬
sanne.

Ouchy, Hotel Beaurivage. Fliegen! Ein unbegreifliches Erlebnis. Kaum
hatten wir uns in die Lüfte erhoben, hatte ich keine Angst mehr. Bis
Zürich grosses dreimotoriges Flugzeug für 9 Personen. Ab Zürich
ganz kleines Junker-Flugzeug. Fassungsraum für knapp 4 Leute. Ab Bern
A. und ich ganz allein im Innern. Ein Pilot draussen. Ich bin bis zu